Lockdown nur am Papier
Licht am Ende des Tunnels? Eher die Ruhe vor dem Sturm. Berlins Chefvirologe Drosten macht Hoffnungen auf einen unbeschwerten Sommer zunichte.
Wenn man sich im Land umschaut, drängt sich unweigerlich die Frage auf: Ist Österreich überhaupt im Lockdown? Menschenleere Plätze, verwaiste Straßen – das war einmal. Morgens und abends staut’s sich auf den Straßen, Innenstädte und Ausflugsziele sind stark frequentiert wie lange nicht mehr, groß ist der Andrang auf Eisflächen und Skigebiete. Von der Polizei weit und breit keine Spur. Die Mobilitätsdaten bestätigen die Beobachtungen.
Seit genau einem Monat sind 24-stündige Ausgangsbeschränkungen (mit neun Ausnahmen) in Kraft. Seit Montag gelten verschärfte Abstands-, Masken- und Besuchsregeln. Supermarktverkäuferinnen, Lehrer, Schaffner, Ärzte müssen sich einmal in der Woche testen lassen, Auslandsurlaube sind verboten. So scharf war der Lockdown noch nie.
Zugegeben: Seit November, als Österreich mit täglich 9000 Neuinfektionen und mehr als 100 Toten das weltweite Corona-Ranking anführte, hat sich die Lage entspannt, auch in Spitälern und Intensivstationen. Der Lockdown zeigt Wirkung, wenn auch noch nicht in einem zufriedenstellenden Ausmaß. Glaubt man Virologen und Modellrechnern, ist das die Ruhe vor dem Sturm. Europa wird in den nächsten Wochen von Mutationen aus Großbritannien, Südafrika, Brasilien überrannt werden. Sagen die Experten.
Das stürzt die Politik in ein Dilemma: Einzig allein auf Basis mathematischer Modellrechnungen muss die Regierung der coronamüden Bevölkerung deutlich machen, dass alles, was bisher geleistet wurde, zu wenig war. Und das zu einem Zeitpunkt, wo das Vertrauen in das türkis-grüne Krisenmanagement dank sprunghafter, widersprüchlicher, unausgegorener Entscheidungen erschüttert ist.
Nun serviert Christian Drosten, der wohl bekannteste Virologe im deutschsprachigen Raum, im „Spiegel“-Interview die nächste Hiobsbotschaft. Sobald im Frühjahr die Impfungen an Fahrt aufnehmen, werde die Politik unter gewaltigen politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, rechtlichen Druck geraten, die Maßnahmen endlich zu beenden. Das hätte schwerwiegende Folge, so Drosten, denn die hochinfektiöse Mutation hätte dann freie Bahn und würde sich unter den jüngeren Menschen, die noch nicht geimpft worden sind, rasant ausbreiten – mit explodierenden Infektionszahlen. Drosten macht alle Hoffnungen auf einen unbeschwerten Sommer zunichte. uch wenn die Scharmützel mit dem Gesundheitsminister anhalten, scheint der Kanzler den Ernst der Lage erkannt zu haben. Bei der Aschbacher-Nachfolge setzte er überraschenderweise nicht auf Loyalität, sondern ausschließlich auf Kompetenz. Neuerlich probt die Regierung den Schulterschluss mit den Landeshauptleuten und der gemäßigten, nicht-rabiaten Opposition. Dass das der richtige Weg ist, sagt der – von Türkis und Grün in den letzten Monaten immer wieder bemühte – Hausverstand. Ein Ende des Tunnels ist leider nicht in Sicht.
ABetreff: Lektionen, direkt von der Skipiste