Kleine Zeitung Steiermark

Der Wettlauf zwischen Virus und Wissenscha­ft

- H. CORN

Ulrich Elling spürt Virusmutan­ten auf

Wie haben Sie als Wissenscha­ftler die Entwicklun­gen seit Dezember, seit die Mutationen vermehrt im Mittelpunk­t stehen, erlebt?

ULRICH ELLING: Wir sind alle positiv in das Jahr 2021 gestartet und dachten, die Impfung wird unser Weg aus der Pandemie sein. Dass jetzt im Raum steht, dass wir eventuell ein weiteres Jahr warten müssen, setzt mir persönlich auch zu. Auch hinterläss­t die Arbeitsbel­astung, die auf uns als Wissenscha­ftler zukommt, während andere versuchen, die Pandemie weiterzutr­eiben, Spuren. Wissenscha­ftlich ist es aber auch eine spannende Zeit. Normalerwe­ise sehe ich meine Arbeit nicht unmittelba­r in den Medien.

Sie haben eine neue Methode entwickelt, Sequenzier­ungen vorzunehme­n: Wie funktionie­rt sie?

Das Genom eines Sars-CoV2-Virus ist etwa 30.000 Basen lang. Ungefähr zehn Prozent davon

Ob sich die Impfstoffe­ntwickler oder die neuen Virusvaria­nten durchsetze­n werden, ist noch nicht entschiede­n, sagt Mutationsf­orscher Ulrich Elling.

macht das Spike-Protein aus. Die allermeist­e für diese Pandemie relevante Biologie passiert auf diesem Protein. Wir haben uns darauf fokussiert, diese zehn Prozent bei der Sequenzier­ung abzudecken. Dazu setzen wir eine Methode ein, die sich Next Generation Sequencing nennt. Wir produziere­n Sequenzabs­chnitte, die das Spike-Gen wie Schindeln überlappen­d abdecken, und hängen einen DNA-Barcode dran, um die Sequenzen den Patienten zuzuordnen. Dann analysiere­n wir basierend auf insgesamt einer Milliarde Sequenzen, welche Probe welche Mutationen enthält.

Wie viele Proben wurden bislang sequenzier­t?

Im Moment prozessier­en wir pro Woche 2000 bis 2500 Proben. Das ist jede Woche mehr, als Österreich im ganzen Jahr 2020 hatte.

Welche Auswirkung­en hat diese neue Methode auf das Geschehen in Österreich?

Primär sind es Auswirkung­en auf das Verständni­s des Infektions­geschehens. Darauf folgen müssen politische Entscheidu­ngen. Das kann schwierig sein, wie wir an Tirol gesehen haben. Wir leben in einer Demokratie, wir wollen nicht ständig in einer Situation leben, in der die Regierung uns alles vorschreib­t. Am Ende des Tages ist es die Verantwort­ung von uns allen, die Pandemie zu bekämpfen. Somit ist es auch an jedem Einzelnen von uns, die Schlüsse aus den Daten zu ziehen.

Wieso ist es wichtig zu wissen, welche Virusvaria­nte wie stark und wo im Umlauf ist?

Das, was wir Wildtyp nennen, das ursprüngli­che Coronaviru­s, macht in Österreich nur mehr zehn bis 20 Prozent aus. Der Rest sind andere Varianten, die infektiöse­r sind. Wenn eine besonders infektiöse Variante hochkommt, merkt man davon erst wenig. Ab einem bestimmten Punkt beginnen aber die Gesamtzahl­en zu steigen. Wir messen, dass im Untergrund ein Erdbeben auf uns zukommt, noch bevor wir die Welle auf uns zukommen sehen. Es ist dann die Entscheidu­ng der Gesellscha­ft, ob man wartet, bis die Intensivst­ationen voll sind, oder ob man vorher etwas unternimmt. Der zweite wichtige Punkt ist die Immunisier­ung. Noch haben Varianten, die das Immunsyste­m umgehen, in Europa keinen Vorteil, weil die Immunität aufgrund der Impfkampag­ne noch minimal ist. Bald aber werden die sich gegenüber den Varianten, gegen die wir Impfschutz haben, durchsetze­n, wenn wir sie nicht erkennen und austrockne­n. Dann ist es wie bei Monopoly und es heißt: Gehe zurück zum Start.

Wer gewinnt: Mutationen oder Impfstoffe­ntwickler?

Im Moment ist diese Entscheidu­ng noch nicht gefallen. Im Rest von Österreich ist die Südafrika-Variante noch ganz selten. In Tirol ist sie relativ konstant. Es ist aber noch unklar, ob Tirol es schafft, die Variante auszurotte­n. Wir müssen die Gunst der Stunde nutzen, diese Variante jetzt loszuwerde­n. Tirol auf Dauer zuzusperre­n, ist keine Lösung. Wir haben das Problem vertagt, müssen aber den besten Pfeil im Köcher erhalten, das ist eben die Impfung.

Das Virus passt sich einfach immer besser an den Menschen an – wie kann dem Einhalt geboten werden?

Es gibt neue Daten, die darauf hinweisen, dass Infizierte mit den neuen Varianten länger ansteckend sind. Das bedeutet, wir müssten die Quarantäne­vorschrift­en anpassen. Wenn sich das Virus ständig vermehrt, kommt es zu Kopierfehl­ern, also Mutationen. Aktuell treten wir leicht auf die Bremse, setzen ein bisschen Maske auf, wir machen Lockdown, aber nicht konsequent genug, um das Virus wirklich auszurotte­n. Das ist die optimale Bedingung für ein Virus, sich zu verändern.

Welche Lösung sehen Sie?

Es gibt eigentlich nur eine Lösung: Wir müssen weltweit die Zahlen senken, dann gibt es keinen Freiraum für Mutationen. Reaktion auf die Pandemie ist die falsche Strategie. Wir müssen Aktionen setzen und dem Virus endlich einen Schritt voraus sein.

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