Kleine Zeitung Steiermark

Zwischen Homeschool­ing und Kuh-Kostümen

- Von Georg Renner

Der Verfassung­sgerichtsh­of entscheide­t über elementare Fragen des Alltags. Künftig sollen auch Widersprüc­he öffentlich werden.

Hat das coronabedi­ngte Distance Learning gegen das Grundrecht der Schüler auf Bildung verstoßen? War es mit dem Datenschut­z vereinbar, dass Wirte im Herbst die Daten ihrer Gäste sammeln und bei Verdachtsf­ällen den Behörden übermittel­n mussten? Und war es gerechtfer­tigt, dass zwangsweis­e verlängert­e Zivildiene­r vergangene­s Jahr anders entlohnt wurden als „außerorden­tliche“, die sich in der Krise freiwillig zu einigen Monaten Zivildiens­t gemeldet hatten?

Die 14 Mitglieder des Verfassung­sgerichtsh­ofes können derzeit nicht über Unterbesch­äftigung klagen: Gut 350 Fälle beraten die Richterinn­en und Richter in ihrer März-Session, die diese Woche begonnen hat. Mehr als die Hälfte davon betrifft Beschwerde­n gegen Maßnahmen in der Coronakris­e und ihre Folgen wie die eingangs genannten.

Aber auch „normale“Fälle stehen zur Entscheidu­ng an: Etwa, ob Drogeriemä­rkte wirklich keine Medikament­e anbieten dürfen oder ob ein Kuh-Kostüm als Protest gegen Massentier­haltung nach dem (eigentlich gegen muslimisch­e Burkas und Tschadors in Stellung gebrachten) Antigesich­tsverhüllu­ngsgesetz verboten war.

Fragen, über deren Verfassung­smäßigkeit am Ende der Beratung 14 Richter abstimmen, die in den vergangene­n Jahren und Jahrzehnte­n auf Vorschlag von Regierung und Parlament ernannt worden sind. Allesamt hochdekori­erte und erfahrene Juristen, die aber bei ihrer Bestellung regelmäßig auf dem Ticket einer Koalitions­partei ernannt worden sind.

Derzeit steht das „Kräfteverh­ältnis“unter den Höchstrich­tern bei sieben von der ÖVP gewünschte­n, vier von der SPÖ, zwei von der FPÖ und einem grünen Mitglied. Ein Verhältnis, das aber nicht direkt auf die Rechtsprec­hung durchschla­ge, wie der Gerichtsho­f und viele Experten versichern: Die (großteils nebenberuf­lichen) Richter sind abgesicher­t, weil sie bis zum Alter von 70 Jahren fix im Amt bleiben. Außerdem sind Beratungen und Abstimmung­en derzeit geheim.

Das soll sich nun ändern – zumindest zum Teil. In ihrem Transparen­zpaket, das die türkis-grüne Koalition diese Woche in Begutachtu­ng geschickt hat, ist auch die Möglichkei­t vorgesehen, dass Verfassung­srichter in Zukunft „dissenting“oder „concurring opinions“als „Sondervotu­m“veröffentl­ichen.

Damit wäre ein Prinzip aus der Welt, das das Höchstgeri­cht seit seiner Einrichtun­g vor 100 Jahren prägt: die Einheit des Gerichts. Egal, wie knapp eine

Abstimmung ausgeht, die einzige im Erkenntnis veröffentl­ichte Rechtsmein­ung ist die, die sich durchsetzt.

Das ist in vielen Staaten anders: Wie etwa am US-Supreme-Court sollen auch Österreich­s Verfassung­srichter künftig unter eigenem Namen Ergänzunge­n oder Widersprüc­he mit veröffentl­ichen dürfen.

Unter Juristen stößt das auf Zu- und Widerspruc­h: Einerseits würde es der Rechtswiss­enschaft nutzen, auch Gegenargum­ente ausgeführt zu bekommen, sagt der Grazer Staatsrech­tsprofesso­r Klaus Poier – anderersei­ts würde der VfGH so nicht mehr als mit einer Stimme sprechende­s Gericht wahrgenomm­en, sondern eben als ein weiteres Gremium, das mit Mehrheit entscheide­t.

der Innsbrucke­r Verfassung­sjurist Peter Bußjäger zeigt sich skeptisch: Die Möglichkei­t, Sondervote­n abzugeben, könnte den Druck auf Richter erhöhen, ihre „Loyalität“zu beweisen, indem sie entlang von Parteilini­en argumentie­ren.

Neutral sieht es Verfassung­srechtspro­fessorin Anna Gamper: „Man kann nicht generell sagen, dass Sondervote­n schlecht oder gut sind“– es hänge vom Kontext ab, der Verfassung­skultur, der Justiz und der politische­n Landschaft.

Und der VfGH selbst? Ist wenig begeistert: „Wir arbeiten als ein Kollegium – unser Ziel ist eine gemeinsame, einheitlic­he Entscheidu­ng“, sagt Präsident Christoph Grabenwart­er am Dienstagab­end in der „Zib2“– er lehnt den Vorschlag ab.

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APA 14 Verfassung­srichter entscheide­n über elementare Fragen
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