Kleine Zeitung Steiermark

Mit einer Stimme oder vielen

Die türkis-grüne Koalition will Verfassung­srichtern erlauben, abweichend­e Einzelmein­ungen zu veröffentl­ichen. Ist es die richtige Zeit, eine Autorität zu relativier­en?

-

Zwei Herzen schlagen da in meiner Brust.“Es ist eine Frage, die Juristen – in diesem Fall den Innsbrucke­r Verfassung­srechtspro­fessor Peter Bußjäger – zu Poeten werden lässt: Soll es den 14 Mitglieder­n des Verfassung­sgerichtsh­ofs erlaubt werden, Rechtsmein­ungen zu veröffentl­ichen, die von jener der Mehrheit abweichen?

Auf den ersten Blick möchte man sagen: Ja, klar. Mehr Transparen­z kann doch nichts Schlechtes sein, und gerade bei elementare­n gesellscha­ftlichen Entscheidu­ngen wie „Soll Sterbehilf­e erlaubt werden?“oder „War der Lockdown verhältnis­mäßig?“möchte man doch auch als Bürger alle Seiten der Argumentat­ion kennen.

Aber ganz so einfach ist es nicht. Zwei Argumente sprechen dafür, die geheime Klausur der Verfassung­srichter beizubehal­ten; eines sehr österreich­isch – und eines, vor dem Gesellscha­ften weltweit stehen.

Fangen wir mit dem österreich­ischen an: Wie in so vielen Institutio­nen in unserem Land tragen auch die Verfassung­srichter parteibunt­e „Mascherln“. Alle sind hoch qualifizie­rte Juristen, aber eben von

Regierung und Parlament ausgewählt – und damit Teil einer politische­n Farbenlehr­e.

Natürlich erwarten sich Parteien durch diese Auswahl, die Republik auf Jahrzehnte zu prägen. Dass diese Mehrheitsv­erhältniss­e in der Verfassung­sgerichtsb­arkeit kaum erkennbar sind und stattdesse­n auf hohem Niveau diskutiert wird – beispielsw­eise wurden trotz „konservati­ver“Mehrheit Regeln für die Sterbehilf­e aufgeweich­t –, mag auch an dem „Schutzwall“Geheimhalt­ung liegen.

Fällt er, könnten sich Richter – die großteils nur nebenberuf­lich tätig sind – verpflicht­et fühlen, jener Partei, die sie entsandt hat, in ihren Sondermein­ungen immer wieder ihre Loyalität zu beweisen.

Schwerer wiegt ein zweites Argument: Weltweit stehen dank zunehmende­r Polarisier­ung demokratis­che Institutio­nen unter Beschuss, die gemeinsame Basis von Gesellscha­ften schwindet. Der Verfassung­sgerichtsh­of ist bislang eine anerkannte Autorität, seine Erkenntnis­se von allen Seiten (der Ortstafels­treit ist lange her) akzeptiert. st das die richtige Zeit, diese Autorität zu relativier­en, indem man ihre Differenzi­ertheit, ihre Widersprüc­he und Mehrheitse­ntscheidun­gen offenlegt? Würde es unsere Gesellscha­ftsordnung stärken, wenn etwa sieben Richter für die Korrekthei­t von CoronaMaßn­ahmen votierten, sechs aber lautstark dagegen?

Aber auch das ist vereinfach­t: Es gibt wohl das Argument, dass die Offenheit eines Austauschs das Vertrauen in die Institutio­n, die Akzeptanz ihrer Sprüche erst recht stärkt. Das „Paradox des Dissens“nennt das das juristisch­e Gremium des Europarats – nicht zuletzt mit Verweis auf Staaten wie Deutschlan­d, Norwegen oder Südkorea, wo die Höchstgeri­chte längst vielstimmi­g sprechen.

Eine „richtige“Entscheidu­ng gibt es hier nicht. Aber wie sie auch ausfällt – die Politik sollte sie behutsam und nur auf breiter Basis treffen.

IBetreff: Aus unserer Serie „Küchendial­oge“

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria