Wenn das Leben buchstäblich rausgesaugt wird ...
Bewohner von Altenheimen haben einen Nachteil: Sie können nicht mehr vor Ministerien demonstrieren.
Wenn sie es noch könnten, würden sie es wohl. Was ist das Highlight im Altersheim? „Es ist der Besuch von Angehörigen“, schreibt eine Leserin, die vor der Pandemie ihre Mutter täglich besuchte. Es ist einer von unzähligen Briefen als Reaktion auf die Kolumne der Vorwoche über die noch nicht geänderten Besuchsbeschränkungen in durchgeimpften Altenheimen. „Unserem Vater, im 90. Lebensjahr, ist es nach der Impfung nicht mehr zu erklären, dass er nur einmal die Woche eine halbe Stunde besucht werden darf, sein psychischer Zustand verschlechtert sich rapid“, klagt eine Leserin. Geimpfte Heimbewohner würden ihren Zustand als „Haft“bezeichnen. Ein Leser ortet als Grund für das Abwarten des Gesundheitsministers trotz Impfung, Maske und getesteter Besucher die fehlende
Lobby: „Tausende demonstrierende Altenheimbewohner vor dem Gesundheitsministerium sind nicht zu erwarten und als Wählergruppe sind wohl auch nur die ,best ager‘-Senioren und nicht hilflose Hochbetagte interessant.“
Aber nächste Woche soll es so weit sein. Da hat der Gesundheitsminister gestern „langsame Schritte“der Öffnung angekündigt. Langsame Schritte? Statt 30 Minuten Besuchszeit 60? Klingt in den Ohren von Angehörigen noch fast wie eine Drohung.
Keine Frage, es gibt auch die andere Seite, jene von Heimleitern. Er hätte, schreibt einer, mitansehen müssen, wie an Covid-19 erkrankten Heimbewohnern „jedes Leben buchstäblich rausgesaugt worden ist und wir völlig machtlos beim Ersticken beistehen mussten“. Mehr als zehn Bewohner sind in seinem Heim im letzten Jahr gestorben, weil uneinsichtige Angehörige das Virus eingeschleppt hätten. a, das ist die andere Seite. Aber vielleicht sollten alle einmal auch die Werbeslogans lesen: „Bin ich geimpft, können meine Enkel mich besuchen.“
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