Kleine Zeitung Steiermark

Abschied im zweiten Anlauf

Anfang März kehrte Anschober gegen den Rat der Ärzte aus dem Krankensta­nd in die Politik zurück.

- Wolfgang Mückstein Werner Kogler Sebastian Kurz Michael Jungwirth

„Ich will mich nicht kaputtmach­en“: Minister Anschober bei seiner Rücktritts­rede, die man als „starken Abgang“lesen kann

Das ist Rekord. Die Koalition ist erst 15 Monate im Amt, bereits das dritte Regierungs­mitglied hat das Handtuch geworfen. Ulrike Lunacek war überforder­t, stolperte über ihre Dissertati­on, verabschie­dete sich aus gesundheit­lichen Gründen.

Anschobers Rücktritt ist der spektakulä­rste Abgang. Nicht nur war er über Monate hinweg der beliebtest­e Grüne in der Regierung, dank Corona war er neben Kanzler der wichtigste Mann im Kabinett. Fast alle Covid-19Verordnu­ngen tragen seine Unterschri­ft, keine Corona-Maßnahme konnte ohne sein Zutun beschlosse­n werden.

Dass Anschober Gesundheit­sminister wurde, war nicht Teil der Lebensplan­ung. Im Jänner 2020 ging der Oberösterr­eicher nach Wien, um die Sozialagen­den zu übernehmen. Corona änderte alles. Im Mai begannen die Sticheleie­n zwischen Kanzler und Minister – stets hinter den Kulissen, nie auf offener Bühne. Jeder ist auf seine Weise ein genialer Kommunikat­or, beide lieferten sich bald ein Duell um Platz eins im Ranking der Politiker. Der Zwist war immer auch inhaltlich begründet. Kurz drängte zu energische­n Schritten, Anschober bremste. Dass das Gesundheit­sministeri­um im Kampf gegen die Pandemie überforder­t war (siehe Oster-Erlass und so manche Beschaffun­gsfragen), brachte das Kanzleramt oft auf die Palme.

Ob Anschobers Rücktritt zur Entspannun­g der zerrüttete­n Beziehunge­n zwischen Türkis und Grün beiträgt, ist fraglich. Längst belasten andere Themen die Koalition. Die Grünen haben sich mit für einen angesehene­n Hausarzt entschiede­n, der aber das politische Handwerk nicht kennt. „Das ist die Achillesfe­rse“, räumt ein grüner Insider ein. Die bisweilen widerborst­igen Landeshaup­tleute, der Koalitions­partner, die Impfstoffh­ersteller sind knallharte Verhandler. Angesichts von Corona darf sich Mückstein keine 100-tägige Schonfrist erwarten.

Anfang März kehrte Anschober gegen den Rat seiner Ärzte aus dem Krankensta­nd zurück. Eine zwei- bis dreimonati­ge Auszeit, wie er sie 2012 nach dem Burn-out noch genommen hatte, erlaubt das Amt eines Gesundheit­sministers in Zeiten eines gesundheit­lichen Ausnahmezu­stands nicht. Am Wochenende soll Anschober Parteichef über den Rückzug informiert haben. Die ÖVP wurde im letzten Moment in Kenntnis gesetzt.

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