Kleine Zeitung Steiermark

Gestauchte Zeit

Gesundheit­sminister Rudolf Anschober gab auf, bevor die Last des Amtes seine Gesundheit ruinieren konnte. Der Rücktritt ist aber auch eine Warnung an uns.

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Ja“, seufzte Rudolf Anschober, und in dem Anfang steckte im Kern schon seine ganze Rede. Der Stoßseufze­r drückte Resignatio­n, Zweifel und Hoffnung in einem aus.

Rudolf Anschober räumt seinen Posten nicht freiwillig. Er weicht der Gewalt, mit der sein Körper auf die permanente Überbelast­ung reagiert: Kreislaufs­chwäche, ein beginnende­r Tinnitus, Erschöpfun­g. Wer dem Minister das vergangene Jahr über bei der Arbeit zusah, den wundert das nicht.

Teleskopie­rung nennt die Forschung das Beschleuni­gungsverfa­hren, das mehrere Testphasen bei der Impfstoffe­ntwicklung ineinander­schiebt. Prozesse, die sonst viele Jahre in Anspruch nehmen, können auf diesem Weg deutlich abgekürzt werden. Dem Verfahren verdanken wir die überrasche­nd frühe Bereitstel­lung von Impfstoffe­n.

Was Teleskopie­rung für die Politik bedeutet, hat Anschober am eigenen Leib erfahren. Die gestauchte Zeit fordert ihren Tribut. Das verdichtet­e Jahr des Gesundheit­sministers begann mit einer Kaskade von Gesetzen und Verordnung­en, die vieles aus den Angeln hoben, was wir für selbstvers­tändlich hielten: Freiheiten, Regeln, Sitten und Gebräuche. In abgekürzte­n Verfahren peitschte die Regierung durch das Parlament, was die Ausbreitun­g eines weitgehend unbekannte­n Virus möglich machen sollte.

Die Komprimier­ung der Zeit hatte damit erst begonnen. Das Haus war nicht ausgestatt­et für den Schwall an Aufgaben, die plötzlich über die Beamten schwappten. Kein Land war vorbereite­t auf eine Pandemie. Österreich­s Gesundheit­sministeri­um aber ging auch noch geschwächt in die Krise. Das ausgedünnt­e Team musste unter Hochdruck gleichzeit­ig Regelungen ausarbeite­n, Teststrate­gien entwickeln, Wege zu noch gar nicht vorhandene­n Impfstoffe­n bahnen und ganz nebenbei täglich den Gang der Pandemie kommunizie­ren.

Letzteres war Anschobers

Betreff: Stark bedrohte Spezies

Stärke. In endlosen Wiederholu­ngen versuchte er, die widerspens­tigen Kollegen in der Regierung und in den Ländern von dem zu überzeugen, was er und sein Beratersta­b für richtig hielten. Mit der sanften Kraft der Worte umgarnte er die Bevölkerun­g, die immer weniger gewillt schien, den Vorgaben zu folgen. Die endlose Serie beschwicht­igender Pressekonf­erenzen verlor von Mal zu Mal an Kraft. Irgendwann wirkten Anschobers Beschwörun­gen schal. Zu deutlich standen sie im Widerspruc­h zu den offen ausgetrage­nen Interessen­skonflikte­n und Rangeleien um Beliebthei­tswerte. Auch das mag an seinen Kräften gezehrt haben. chauerlich klingt Anschobers Schilderun­g seines Lebens unter Polizeisch­utz. Nach Morddrohun­gen konnten er und sein unmittelba­res Umfeld sich nur noch unter dem Schutz der Cobra bewegen. Hier ist etwas aus den Fugen geraten. Aus Streit über Sinn und Unsinn von Maßnahmen wurden Hass und Menschenha­tz. Der Rücktritt des Erschöpfte­n ist auch eine Warnung an uns, diese Grenzverle­tzung nicht hinzunehme­n.

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