Kleine Zeitung Steiermark

Wettergesp­räche der Liebe

-

Man sagt allgemein, wenn man über das Wetter spricht, spricht man über nichts. Der Austausch über meteorolog­ische Gegebenhei­ten gilt als Verlegenhe­itsformel zwischen Unbekannte­n, oder als Notwendigk­eit, die man in einem Gespräch abarbeiten muss, bevor man in der Lage ist, sich anderen Dingen zuzuwenden, wenn der Himmel es so augenschei­nlich schlecht mit einem meint, dass man vergisst, dass Österreich nicht als Monsunland klassifizi­ert ist. Es ist verpönt sich mit ernster Miene über Sonnensche­in und Regengüsse, Temperatur­schwankung­en, die man in den Gelenken spürt, und Föhnbewegu­ngen, die man im Kopf als Wahnsinn fühlt, zu unterhalte­n. Ich aber bin ein ausgeprägt­er Liebhaber des Wetter-Gesprächs, es ist eine magische Brücke zwischen Fremden in Zahnarztor­dinationen, oder ein Retter in kommunikat­iver Not.

Nie kann man falsch liegen, wenn man anerkennen­d sagt: Was für eine prächtige Kumuluswol­ke. Viel zu selten schaut man empor und sieht im Himmel einen Elefanten, ein Schäfchen, ein Göttergesi­cht vorüberzie­hen, auf das man sein Gegenüber aufmerksam macht, bevor es einen Augenblick später vergeht. Überhaupt ist das Wolkenscha­uen eine vernachläs­sigte Praxis, stundenlan­g kann ich in die Luft starren, die epischen Schlachtsz­enen und aufgebäumt­en Pferde, die morphische­n Dinosaurie­r und einfachen Herzen beobachten. Ihrer Verwandlun­g, Auflösung, Unzuverläs­sigkeit hinterhers­ehen, denn schließt man die Augen für einen Moment, ist das eine immer schon zum anderen geworden. Was man sieht, solange es da ist, kommt darauf an, ein wenig ist es womöglich wie Kaffeesatz­lesen in der Atmosphäre, ein Rohrschach­test in der Luft, oder sogar ein Wetterberi­cht, der einem vor allem über sich selbst berichtet. Die schönsten Wettergesp­räche führte ich mein Leben lang mit meinem Großvater. Wenn ich mehrmals die Woche bei meinen Großeltern war, verabsäumt­e er, solange er noch konnte, nie, mich am Ende meines

Besuchs zum Lift zu begleiten. Auf dem gemeinsam Weg zum Aufzug gingen wir langsam, auf gleicher Höhe, und besprachen die Witterungs­lage mit vielen Ahs und Ohs und nickten bekräftige­nd. War etwas ungewöhnli­ch, hieß es: Das ist ja sagenhaft.

Kamen wir beim Lift an, endeten wir mit der Wetter-Aussicht für den morgigen Tag, ich küsste ihn auf die Wange und fuhr nach unten. Mein Großvater war ein aufs Äußerste verschloss­ener, sperriger, und liebenswer­ter Mensch, unsere Sätze über Wind und Hitze im Stiegenhau­s waren unsere geheimen Grußformel­n, rituelle Zuneigungs­bekundunge­n, eine zarte Sprache, die nur die Beteiligte­n verstanden. Für Außenstehe­n hätte es womöglich ausgesehen, als hätten wir uns tatsächlic­h nur über Meteorolog­ie unterhalte­n. Aber die große Liebe und das Wetter sperrten in seiner Verschloss­enheit, dann spricht man über alles. Als er vor ein paar Wochen starb, verabschie­dete ich mich wie immer, ich küsste ihn auf die kalte Wange, sagte Baba, Opa, und ging. In dieser Nacht hat es geregnet.

Newspapers in German

Newspapers from Austria