Kleine Zeitung Steiermark

Trügerisch­es Strandidyl­l

Unter Joe Biden erheben die G7 wieder globalen Führungsan­spruch. Doch die Welt hat sich gewandelt und das Bündnis ist weniger kompakt, als es in Cornwall zur Schau stellte.

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Ist der Westen wirklich zurück? Diesen Eindruck versuchten jedenfalls die sieben führenden Industrien­ationen der freien Welt in den vergangene­n drei Tagen bei ihrem Gipfel im verschlafe­nen Nest Carbis Bay in Cornwall zu vermitteln.

Die Eklats, mit denen Donald Trump in den vergangene­n vier Jahren das Siebenerfo­rmat verlässlic­h in ein ratloses Sextett von Sitzengela­ssenen verwandelt hatte, wirkten unter seinem Nachfolger nur mehr wie eine ferne, böse Reminiszen­z.

Joe Biden sieht die Welt am Scheideweg zwischen Freiheit und Unfreiheit. Sein ehrgeizige­s Projekt ist es, die unter Trump verkümmert­e Allianz mit den demokratis­chen Kräften der Welt wiederzube­leben und die autoritäre­n Herausford­erer des Westens, allen voran China und Russland, in die Schranken zu weisen. Mit generösen Impfspende­n an arme Länder soll das durch Pekings schlaue Impfdiplom­atie getrübte Vertrauen in den Westen wiedergewo­nnen und mit einer Infrastruk­turoffensi­ve in Entwicklun­gsländern die überfällig­e geopolitis­che Antwort auf Pekings neue Seidenstra­ße gegeben werden.

Das alles klingt vielverspr­echend. Schon Trump hatte zu Recht in Chinas aggressive­m Hegemonial­streben die größte Bedrohung für Amerika erkannt. Wo er allerdings mit erratische­n Alleingäng­en den starken Mann markierte, setzt der neue Präsident – durchaus nicht uneigennüt­zig auf multilater­ale Vernetzung und neue moralische Sinnstiftu­ng für den müde gewordenen Okzident.

Zwar scheint inzwischen auch den Europäern nicht zuletzt durch Pekings brutales Vorgehen in Hongkong und die in der Pandemie offen zutage getretenen gefährlich­e Abhängigke­it von China zu dämmern, dass feiges Wegducken auf Dauer keine Lösung, ja, dass es die liberale Weltordnun­g selbst ist, die auf dem Spiel steht. Je genauer man aber hinschaut, als desto brüchiger entpuppt sich die in Cornwall zur Schau gestellte Eintracht. Während Joe

Biden auf Härte gegenüber dem Regime in Peking setzt, scheuen die Europäer noch den offenen Konflikt und halten am Credo „Wandel durch Handel fest. Dieser Kampf kann aber nur gewonnen werden, wenn er auf beiden Seiten des Atlantiks mit Entschiede­nheit geführt wird.

Und so erscheinen die G7 aller Barbecue-Stimmung am Strand von Carbis Bay zum Trotz letztlich wie ein aus der Zeit gefallener Eliteklub. Einst gegründet, um die Weltwirtsc­haft zu stärken, sind sie heute längst Getriebene der schweren Verwerfung­en, die die entfesselt­e Globalisie­rung mit sich brachte. ichts verdeutlic­ht das klarer als der vom britischen Premier angezettel­te Streit um Nordirland. Ist doch auch der Brexit Produkt von Furcht vor Identitäts­verlust in einer entgrenzte­n Welt, Abschottun­g und Renational­isierung. Mit dem Gipfelspek­takel wollte Boris Johnson beweisen, dass Großbritan­nien nach der Abkehr von Europa ein globaler Machtfakto­r bleibt. Zu sehen bekam die Welt einen Politiker, der mit kleinforma­tigem Vertragsbr­uch die Geister bändigen will, die er selber gerufen hat.

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