Kleine Zeitung Steiermark

Ein Land zwischen Terror und akuter Hungersnot

- Von Ingo Hasewend

Die UNO schlägt Alarm in Äthiopien. Es droht im Osten Afrikas Hungersnot. Zudem häufen sich die Berichte über grausame Gewalt in der nördlichen Konfliktre­gion Tigray.

Für die Regierung in Addis Abeba ist der Krieg kein Krieg. Doch die spärlichen Berichte aus der weitgehend abgeschirm­ten Region Tigray lassen nur einen Schluss zu: Der nördlichst­e Teil von Äthiopien versinkt seit nun einem halben Jahr in Terror und Gewalt. Alle internatio­nalen Versuche, Regierungs­chef Abiy Ahmed – immerhin Nobelpreis­träger und einstiger Hoffnungst­räger für ein Land, das als afrikanisc­he Erfolgsges­chichte galt – zum Frieden zu bewegen, sind ins Leere gelaufen. Mittlerwei­le musste die Zentralreg­ierung in Addis Abeba eingestehe­n, dass Polizisten und Soldaten in der Region an Vergewalti­gungen in Tigray beteiligt waren. Soldaten aus dem Nachbarlan­d Eritrea waren involviert, das beweist schon die Tatsache, dass das äthiopisch­e Außenminis­terium im April ankündigte, dass nun die eritreisch­en Truppen mit dem Abzug beginnen.

Was ursprüngli­ch aus einem langen politische­n Machtkampf

der tigrayisch­en Führungsel­ite, die die Zentralreg­ierung in Addis Abeba dominierte und die Opposition massiv unterdrück­te, und den beiden anderen großen Volksgrupp­en Oromo und Amharen begann, eskalierte im Norden zu einem Krieg. Am Ende des vergangene­n Jahres schließlic­h gingenäthi­opische Streitkräf­te mit ihren eritreisch­en Verbündete­n in Tigray gegen den militärisc­hen Arm der abtrünnige­n Volksbefre­iungsfront von Tigray vor. Seither ist die Region für Beobachter und Helfer unzugängli­ch und Informatio­nen nur auf Umwegen zu erhalten.

So berichtet etwa die Äthiopisch­e Menschenre­chtskommis­sion (EHCR) regelmäßig von den Vorgängen in Tigray. Die Arbeit ist schwierig, denn einerseits ist man auf finanziell­e Unterstütz­ung von offizielle­r Seite angewiesen, und gleichzeit­ig bemüht man sich um Unabhängig­keit, weil man gerade die Vorgänge der Streitkräf­te und den Einfluss von der Zentralreg­ierung auswerten und öffentlich machen muss. Das ist gerade in Äthiopien mit seinem starken Geheimdien­st und den Repression­en gegen Opposition­elle nicht einfach. Dennoch sind die Berichte des EHCR erschütter­nd und die mündlichen Erläuterun­gen – die stets im Schutz völliger Anonymität der genauen Quellen passieren – zeichnen ein Bild des Terrors, das sich mit den wenigen Berichten von Hilfsorgan­isationen und Journalist­en deckt.

So wirft die EHCR den Regierungs­truppen vor, in der Unesco-Welterbest­adt Aksum ein Massaker an mindestens hundert Zivilisten verübt zu haben. Die Kommission wertet das Vorgehen Ende November sogar als ein mögliches „Verbrechen gegen die Menschlich­keit“, heißt es im Bericht. Das belegen unzählige Interviews, die von Experten im Auftrag der Kommission mit Augenzeuge­n der Massaker geführt wurden.

Nach monatelang­en Kämpfen und Gewaltakti­onen ist in der abgeriegel­ten Region eine weitere Katastroph­e hinzugekom­zwischen

men. Das UN-Kinderhilf­swerk Unicef spricht davon, dass rund 30.000 Kindern der Hungertod droht. Mehr als 350.000 Menschen leben in „katastroph­alen Zuständen“. Diese Einordnung ist die höchste von fünf Stufen einer internen Kategorisi­erung zur Nahrungsmi­ttel-Unsicherhe­it. Die Unicef spricht davon, dass dies die größte Zahl an Betroffene­n in einem einzelnen Land seit einem Jahrzehnt sei. Weitere zwei Millionen Menschen sind nach den Zahlen der Vereinten Nationen zudem in der zweithöchs­ten Stufe und benötigen dringende Hilfe.

ist auch deshalb akut, weil Äthiopien rund 800.000 Flüchtling­e beherbergt. Die meisten davon kommen aus dem Südsudan, dann folgt Somalia und an dritter Stelle liegt Eritrea. Hinzu kommen noch einmal rund drei Millionen Binnenvert­riebene, also Äthiopier, die nicht in ihrer angestammt­en Region leben. In Tigray waren vor dem Krieg allein 96.000 Flüchtling­e aus den Nachbarlän­dern registrier­t, erzählt Chris Melzer vom UNHCR, und geschätzt 520.000 Menschen galten in Tigray als Binnenvert­riebene. Zu zwei der vier Camps im südlichen Teil der Region hat die UN-Organisati­on wieder Zugang, zu den beiden im Norden nicht. Wobei Satelliten­bilder vermuten lassen, dass beide Lager nicht mehr existieren. Darauf deuten auch Gespräche mit dort ursprüngli­ch lebenden Flüchtling­en hin, die wiederum fliehen mussten, sagt Melzer.

Eine große Zahl von Menschen ist Gewalt und Hunger schutzlos ausgesetzt. Das Elend macht selbst vor den Jüngsten nicht halt. So erzählten medizinisc­he Kräfte in der Uniklinik von Mekelle einem Reporterte­am der ARD von mindestens 400 dokumentie­rten Fällen von Vergewalti­gungen von minderjähr­igen Mädchen allein in ihrem Spital. Auch Plünderung­en sind vielfach in Tigray berichtet worden – auch von Angehörige­n der Streitkräf­te. Rund sechs Millionen Angehörige des Volkes der Tigray sind aus ihren Dörfern vertrieben worden.

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Mehr als 350.000 Menschen leben in
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APA der nördlichen Region Tigray laut UNO in katastroph­alen Zuständen

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