Die Bravour des Stimmwunders
Riesenjubel um Samuel Mariño (27): Der venezolanische Sopranist brillierte in Kastratenarien.
Im Neapel vor 300 Jahren wäre Samuel Mariño wohl ein Superstar gewesen. Die damalige grausame Praxis, bei musikalischen Knaben „Stimmbildung“mit dem „Messerchen“zu betreiben, um mit ihnen als Kastraten auch später Hörsensationen bieten zu können, hatte lange gewährt, gottlob aber nicht ewig.
Beim Venezolaner war es eine Laune der Natur, dass er nie in den Stimmbruch kam. Eine Laune, die auf der Bühne Staunen macht. Denn Sopranisten, die jeden noch so hochtönenden Countertenor weit unter sich lassen, wie etwa der Wiener Max Emanuel Cencˇic´ in jungen Solistenjahren, sind rar gesät. Mariño weiß mit dieser seltenen Gabe brillant umzugehen. Das bewies er nun erstmals in Graz, mit Michael Hofstetter, mit dem er auch schon für die Händelfestspiele in Halle und für eine daraus resultierende CD zusammengearbeitet hat.
Das Programm dieses Albums mit Werken von Händel und Gluck, teils in Ersteinspielungen, war auch Kern des styriarte-Projekts „Il Castrato“. Und was Mariño in der ListHalle servierte, war Ausnahmegesang vom Feinsten. Elegante Lyrismen, Koloraturengeläufigkeit bis in stratosphärische Höhen oder ziselierende Verzierungskunst – etwa im halsbrecherischen Duett, nein, Duell mit dem Oboisten (Philipp Wagner) in der Bravourarie „Quella fiamma“aus Händels „Arminio“: Der 27-Jährige beherrscht alles wie selbstverständlich aus dem Effeff und weiß sich als Show-Man in Glitzerhose, Silberschuhen und androgynem Sex-Appeal auch sonst in Szene zu setzen. Das styriarte-Festspiel-Orchester um Geigerin Maria Bader-Kubizek rollte ihm nicht nur elegant den roten Teppich aus, sondern zeigte unter Hofstetter auch in einem Concerto und einer Sinfonia, dass Originalklang erst mit Ecken und Kanten eine runde Sache ist. Riesenjubel!
Im Hörfunk. 1. 9., 19.30 Uhr, Ö1. CD-Tipp: Care Pupille. Samuel Mariño, Händelfestspielorchester Halle, Michael Hofstetter. Orfeo.