Warum wohnte mordverdächtiger Afghane im Gemeindebau?
Mordfall Leonie: Einer der Tatverdächtigen lebte in einer Gemeindewohnung in Wien, obwohl er vorbestraft war. Wie konnte es dazu kommen?
Viele Fragen rund um den Tod der 13-jährigen Leonie sind noch offen. Als sicher gilt aber: Die Tat wurde in einer Wohnung begangen, in der ein 18-jähriger Afghane wohnte, der als einer von vier Tatverdächtigen in Untersuchungshaft sitzt. Dass er eine Gemeindewohnung bekam, obwohl er vorbestraft war, und nicht abgeschoben wurde, obwohl ihm sein Schutzstatus aberkannt wurde, sorgt bei vielen für Unverständnis. Wie kam es dazu? Die Wiener Kinder- und Jugendhilfe, die bis vor Kurzem die Obsorge innehatte, gibt Antworten.
Der 18-Jährige, der „Haji“genannt wird, kam als unbegleiteter Minderjähriger nach Österreich und war, wie alle minderjährigen Flüchtlinge, bis zur Volljährigkeit in Obsorge der Wiener Kinder- und Jugendhilfe (MA 11). Die ersten zwei Monate wohnte er in einem Krisenzentrum. Dann zog er in eine dicht betreute Wohngemeinschaft, danach in eine WG der Grundversorgung, später in betreutes Wohnen in besagter Gemeindewohnung. Die beschäftigt nun auch die Politik.
In einer Anfrage an die rot-pinke Wiener Stadtregierung will die ÖVP wissen, an wen und unter welchen Umständen die Kinder- und Jugendfürsorge Gemeindewohnungen vergibt.
Insgesamt gibt es 188 betreute Wohnungen in Wien. Die werden von der Kinder- und Jugendhilfe gemietet und Jugendlichen ab 16 Jahren zur Verfügung gestellt, die in ihrer Obsorge sind. Darunter sind minderjährige Flüchtlinge, aber auch österreichische Jugendliche. „Die jungen Menschen sollen dort lernen, selbstständig zu leben“, sagt Sozialarbeiterin Andrea Friemel von der MA 11. Wenn Jugendliche das wollen, kann die Betreuung durch das Jugendamt auch über den 18. Geburtstag hinausgehen. Im Fall von Haji war das so. Er musste eine Zielvereinbarung unterschreiben. Wird die
Vereinbarung gebrochen, ist die Wohnung weg. „Die Bereitschaft, in eine Ausbildung zu gehen und sich am Arbeitsmarkt zu integrieren – all das war da“, sagt Friemel zum aktuellen Fall.
Mindestens alle 14 Tage gibt es einen Hausbesuch durch den Betreuer, mehrmals pro Woche telefonischen Kontakt. Der letzte Kontakt zu Haji fand am 22. Juni statt, drei Tage vor der Tat. „Bei der Betreuung geht es darum: Wie musst du dich verhalten, wie musst du dich integrieren, um ein wertvoller Teil der Gesellschaft zu werden“, sagt die Sozialpädagogin Ingrid Pöschmann. „Wenn Gewalt zunimmt, unsteter Lebenswandel da sind, Drogenabhängigkeit besteht, psychische Erkrankung – dann steuern wir gegen.“
Im Fall von Haji war das aus Sicht der Betreuer nicht gegeben. Erst Anfang Juni gab es eine Revision in seiner Wohnung. Es habe keine Auffälligkeiten gegeben. In den letzten drei Jahren wurde Haji zu zwei bedingten und einer unbedingten Haftstrafe verurteilt. Auch in Haft wurde er von der MA 11 betreut. Er verhielt sich sehr angepasst und wurde im August entlassen. Seither bekam er zusätzlich Bewährungshilfe: „Auch für andere Fachleute war kein negativer Verlauf sichtbar.“Gäbe es keine Wohnungen und Sozialbetreuer für minderjährige Flüchtlinge – auch wenn sie straffällig werden –, würden sich die Probleme potenzieren, ist man bei der MA 11 überzeugt. „Wenn wir nichts tun, dann gäbe es nur eine Verlagerung der Probleme“, sagt Sozialpädagogin Pöschmann.
Als Obsorgeberechtigte übernimmt die MA 11 auch die Rechtsvertretung in Asylverfahren von Minderjährigen. Als Haji wegen seiner Straffälligkeit im Oktober 2019 der subsidiäre