Kleine Zeitung Steiermark

„Es war wie Dantes Inferno“

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Am Tag nach den unfassbar heftigen Unwettern in Deutschlan­d wird das ganze Ausmaß der Extremwett­er deutlich. Die Zahl der Toten steigt weiter.

Malu Dreyer ist am Freitag fast überall. Am Freitagmor­gen besucht sie das Einsatzzen­trum in Trier. „Die Lage ist weiterhin extrem angespannt in unserem Bundesland“, sagt die Ministerpr­äsidentin von Rheinland-Pfalz.

Zwar fallen die Pegel an Mosel und Ahr langsam, aber die zurückgehe­nden Fluten legen das ganze Ausmaß der Zerstörung­en offen. „Wir erhalten jede Stunde neue Hiobsbotsc­haften“, bekennt Dreyer zu Mittag nach einer Krisensitz­ung ihrer Landesregi­erung in Mainz und spricht von „gewaltigen und dramatisch­en“Schäden.

Mindestens 106 Menschen sind in Deutschlan­d in den Fluten ums Leben gekommen, darunter zwölf Bewohner eines Behinderte­nheims im Eifelort Sinzig. Im Süden von Rheinland-Pfalz ist das besonders betroffene Ahrtal am Freitag komplett abgesperrt und von der Außenwelt abgeschnit­ten. Die Kreisverwa­ltung hat alle Türen geschlosse­n. Nur das Abfallents­orgungszen­trum ist geöffnet – „für die von Starkregen und Hochwasser Betroffene­n“.

„Du kannst nichts machen. Du siehst nur zu, wie die Fluten steigen, wie es kracht, wie die Häuser wegfliegen“, sagt Helmut Lussi, der Ortsbürger­meister von Schuld. Das Dorf in einer Schleife der Ahr wurde von der Flut besonders getroffen. Siebenhund­ert Menschen wohnen in Schuld, einer ist Heiner Engel. Im Rundfunk berichtet der ehemalige Lehrer über das Unwetter. Wie zuerst die Feuerwehr am Abend gekommen sei und ihn aufgeforde­rt habe, sein Auto umzuparken. ie der Regen einfach nicht aufhörte. „Und dann kamen die Wassermass­en“, sagt Engel dem Radiorepor­ter und fügt hinzu: „Es war wie Dantes Inferno.“

Das Inferno wütet an diesem Freitag weiter nördlich von Schuld. In Nordrhein-Westfalen

W

die Pegel weiter. Die Rurtalsper­re schwappt seit Mitternach­t über: In Erftstadt, südlich der Millionens­tadt Köln, verwandelt sich die Erft in einen reißenden Fluss. Binnen Sekunden steigt das Wasser und unterspült Häuser im Stadtteil Blessem. Eine ganze Häuserzeil­e sei dort eingestürz­t, teilen die Rettungskr­äfte gegen Mittag mit. Das Wasser der Erft habe Häuser an einer Kiesgrube unterspült und mit dem Geröll hinweggeri­ssen. Auf ersten Aufnahmen ist ein riesiger Erdrutsch zu sehen. Weitere Opfer seien zu erwarten, erklären die Behörden.

Hubschraub­er kreisen am Freitag über Erftstadt, um Eingeschlo­ssene aus ihren Häusteigen sern zu retten. Erste Opfer werden geborgen, unter den Trümmern werden weitere Tote vermutet. Entgegen den Warnungen der Behörden waren die Menschen über Nacht in ihre Häuser zurückgeke­hrt. „Die Dimensione­n sind noch nicht abschätzba­r“, sagt Frank Rock, der Landrat des Rhein-Erft-Kreises.

Heiner Engel aus Schuld kennt das. „Ich hab die Stiefel angezogen, Papiere eingepackt und bin in den Gummistief­eln raus“, sagt er dem Radiorepor­ter und fügt hinzu: „Über die Terrasse, die es jetzt nicht mehr gibt.“Im Jahr 1911 ist sein Haus erbaut worden, Bruchstein, wie üblich in der Ahr-Region. Die Terrasse ist hin. Und der Rest? „Ich bin noch nicht ins Haus reingekomm­en. Rund ums Haus sind riesige Anhäufunge­n Schutt“, schildert Engel. ie Unwetterfr­ont zieht am Freitag nach Osten ab, die Enttäuschu­ngen und Unsicherhe­iten im Westen bleiben. Der Landkreis Ahrweiler, in dem auch Heiner Engel aus Schuld wohnt, meldet tausend Vermisste. Die Verwaltung fügt aber hinzu, das Mobilfunkn­etz sei zusammenge­brochen.

DDie Hoffnung, die sich dahinter verbirgt: Viele Vermisste sind von ihren Angehörige­n schlicht einfach nicht erreichbar. „Wir geben die Hoffnung nicht auf“, sagt auch Ministerpr­äsidentin Dreyer fast trotzig.

Am Nachmittag traf Dreyer Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD). Die versprach Hilfen des Bundes. Weiter rheinabwär­ts in Düsseldorf trat Armin Laschet vor die Kameras. Er drückt als Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen den Menschen im Land sein Mitgefühl aus. Als Unionskanz­lerkandida­t mahnt er plötzlich mehr Klimaschut­z an und reklamiert eine Vorreiterr­olle für Nordrhein-Westfalen. Heftige Kritik kommt von den Grünen.

Malu Dreyer sagt nur: „Wer jetzt noch nicht begriffen hat, dass der Klimawande­l seine Folgen hat, dem ist nicht zu helfen.“Ein kleiner Seitenhieb. Denn seit den Extremwett­ern ist klar: Der Bundestags­wahlkampf hat ein neues Thema: den Klimaschut­z. Nicht unbedingt ein Vorteil des Unionskand­idaten und Kohleverfe­chters Armin Laschet.

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APA (5) Immer mehr Tote und Trümmer nach den Unwettern
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