Die Angst des Menschen vor dem Wort
Das verzweifelte Bemühen, nur ja niemanden zu kränken, lässt die Sprache immer bizarrere Blüten treiben. Doch wo jeder Satz eine Entgleisung sein kann, versteinert das Denken.
In einem Radiointerview bekannte der Schauspieler Lars Eidinger, der neue Salzburger Jedermann, dass ihm das Wort „Weib“einiges Unbehagen bereite. Er selbst würde es nicht gebrauchen, aber Hugo von Hofmannsthals Mysterienspiel vom Sterben des reichen Mannes nötigt ihn dazu, diese abstoßende Vokabel in den Mund zu nehmen. Gerechtfertigt sei dies einzig dadurch, dass damit die patriarchale Gesinnung des alten weißen Mannes, der nur abschätzig über Frauen denken und sprechen kann, zum Ausdruck gebracht und demaskiert werde. Dass zur Entstehungszeit des Jedermann „Weib“noch eine allgemein gebräuchliche Bezeichnung war, die auch positiv konnotiert sein konnte, ist dem Mimen womöglich entgangen. mmerhin spannt sich von Schillers „Wer ein holdes Weib errungen“, das bei jeder Aufführung von Beethovens Neunter inbrünstig gesungen wird, über Richard Wagners „herrlichstes Weib“, das sich Siegfried erkämpft, bis zu den quotenträchtigen skrupellosen „Vorstadtweibern“der gleichnamigen Fernsehserie ein Bogen, der die schillernde Bedeutung eines Wortes zeigt, dessen negative Verwendungsweisen gar nicht in Abrede gestellt werden müssen. Aber gehört es nicht zum Gebrauch und zur Geschichte von Worten und Begriffen, dass sich ihr Gehalt verschie
Iben, mitunter ins Gegenteil verkehren kann? Macht das nicht in hohem Maße auch die Lebendigkeit von Sprache aus? Und ist es nicht ein Zeichen von Geschichtsbewusstsein, darüber Bescheid zu wissen und dementsprechend damit umzugehen? Vielleicht ist dies zu viel verlangt. Es lebt sich wahrscheinlich einfacher, wenn eine Sprachpolizei festlegt, was ein Wort bedeutet, wie es zu verwenden und wann es aus dem Verkehr zu ziehen ist. m wahrsten Sinn des Wortes aus dem Verkehr gezogen wurde kürzlich der „Schwarzfahrer“. Aus ihm wurde eine „Person ohne gültigen Fahrschein“. Auch wenn der inkriminierte Begriff weder etymologisch noch sachlich irgendetwas mit Hautfarben und damit verbundenen rassistischen Stereotypen zu tun hat, darf die Farbe Schwarz keinen metaphorischen Sinn mehr annehmen. Der „Schwarzmarkt“und das „Schwarzgeld“müssten nach dieser Logik ebenso aus unserem Wortschatz verbannt werden wie die „Schwarzarbeit“und der melancholische „Schwarzseher“. Ob Unternehmen noch „schwarze Zahlen“schreiben dürfen, ist offen, da in diesem Fall eine positive Akzentuierung vorliegt. Die „rote Zahlen“allerdings stehen unter Verdacht, sowohl Native Americans als auch Sozialdemokraten könnten sich dadurch ins Minus
Igedrängt fühlen. Besser also, Farbspiele auch hier zu vermeiden und ins umständliche Bürokratendeutsch zu fliehen. Die Prägnanz anschaulicher Begriffe und damit der Variantenreichtum der Sprache werden auf dem Altar hypertropher und sachlich oft unsinniger Sensibilitäten geopfert.
Die neuen Sprachnormen führen zu einem interessanten Phänomen: der Wortangst. In manchen Bereichen mag die verzweifelte Suche nach dem richtigen, dem erlaubten, dem guten Terminus tatsächlich Ausdruck einer geschärften Wahrnehmung und Anlass für angemessenere Formulierungen sein. In anderen Zusammenhängen resultieren daraus Unsicherheit, kommunikative Verarmung und sprachliche Verrenkungen, die sich auch auf den Geist auswirken. Sprache ist, nach einem Wort von Karl Marx, praktisches Bewusstsein. Wo jedes Wort ein Fehltritt, jeder Satz eine Entgleisung, jede Metapher eine Verletzung sein könnte, erstarrt das Denken. Angst ist weder für das Sprechen noch für das Schreiben ein kluger Ratgeber. Das bedeutet nicht, dass jederzeit alles gesagt werden kann. Doch man sollte den Menschen schon zutrauen, dass sie Kontexte verstehen, historische Wandlungen berücksichtigen und Bedeutungsnuancen erkennen können.