„Man muss weich und offen bleiben“
Schriftstellerin und Bachmann-Preisträgerin Nava Ebrahimi glaubt nicht, dass wir große Lehren aus der Pandemie gezogen haben. Von den Menschen wünscht sie sich, dass sie Verschiedenheiten aushalten.
lich, dass es einen Mangel gegeben hat. Einen Mangel an Zeit, an Zusammenhalt, an Rücksichtnahme. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass die positiven Erkenntnisse aus der Pandemie nachhaltig sein werden. Vielleicht ist wenigstens das Bewusstsein dafür gestiegen, dass die Globalisierung mit sich gebracht hat, dass nichts mehr weit weg ist, auch Viren nicht, und wir nicht mehr sagen können: Ach, das spielt sich doch in China ab, geht uns nichts an.
Haben wir auch den Glauben an unsere – europäische – Unverwundbarkeit eingebüßt?
Gewissheiten sind ins Wanken geraten. Wir mussten schmerzhaft lernen, dass wir genauso verwundbar sind wie jedes andere Land auch. Aber es gab auch innerhalb Europas eigenartige Stimmungen. Wir haben Freunde in Spanien, und die haben darunter gelitten, dass ihr Land ein Zentrum der Pandemie war. Es hat schnell geheißen: Ach, die Südeuropäer, die haben nichts im Griff! Und dann waren unsere Freunde fast erleichtert, also nicht bösartig, die Briten auch nichts im Griff hatten. Es wurden schon viele Selbst- und Fremdbilder auf den Kopf gestellt.
Ich spüre, dass Sie mit Ihrem eigenen Skeptizismus hadern.
Weil ich dazu neige, die Dinge positiv zu sehen, aber das war im letzten Jahr schwierig. Ein anderes Beispiel: In Österreich gab es einige Menschen, die gesagt haben: Für mich geht die Freiheit über alles, ich lass mich nicht einschränken. Die Tatsache, dass sie damit andere Menschen gefährden, haben sie dadurch völlig ignoriert.
In Ihrem Geburtsland Iran hat das Einschränken von Freiheiten eine völlig andere Dimension. Wie geht es Ihnen damit, wenn in einem Land wie Österreich in Zusammenhang mit Corona-Bestimmungen von Freiheitsberaubung die Rede ist?
Uneingeschränkte Freiheit verlangen und gleichzeitig Teil einer Gesellschaft sein und die Vorteile eines Sozialsystems nutzen – das geht für mich nicht zusammen. Wir haben ja beschlossen, freiwillig einen Teil Freiheit abzugeben, damit wir gut und gedeihlich zusammenleben können. Es hat sicher auch mit unserem krassen Individualismus zu tun und dass wir oft vergessen, dass wir auch miteinander klarkommen müssen. Das hat uns die Pandemie wieder mit dem Vorschlaghammer bewusst gemacht.
Ein Zitat des persischen Poeten und Mystikers Hafis lautet: „Jedwede Andachtsrichtung ist besser als das Selbstanbeten.“Haben viele Probleme ihre Ursache darin, dass sich der Mensch in maßloser Selbstüberhöhung und exzessiver Egozentrik gottesgleich fühlt?
Das Erstaunliche an uns Menschen ist ja generell, dass sich jeder Einzelne so wichtig nimmt. Jeder hält sich, mit Abstufungen natürlich, für den Mittelpunkt der Welt. Dass man sich selbst über alles stellt, das ist sicher in den westlichen kadass