„Wir brauchen Geimpfte, keine Getesteten“
Gesundheitsminister Mückstein schlägt Alarm. Die Neuinfektionen steigen schneller als befürchtet. Die Tests haben den Staat mehr als eine Milliarde gekostet, im Herbst dürfte das Gratisangebot enden.
Fängt bei Corona jetzt wieder alles von vorne an, Herr Minister?
WOLFGANG MÜCKSTEIN: Das glaube ich nicht. Wir haben eine andere Situation als vor einem Jahr. 45 Prozent der Bevölkerung ist vollimmunisiert, wir haben flächendeckende Tests. Seit ich Minister bin, sind die Zahlen immer gesunken, doch nun steigen sie wieder, sogar schneller, als wir es angenommen haben. Daher müssen wir an kleinen Schrauben zu drehen beginnen.
Ist das der Anfang der vierten oder fünften Welle?
Wir wissen, dass die Vollimmunisierten einen guten Schutz gegen die Delta-Variante haben. Sie wird das kaum betreffen. Wer einmal geimpft ist, hat einen gewissen Schutz. Leider bleibt noch ein sehr beträchtlicher Teil der Bevölkerung, der noch nicht geimpft ist. Dort wird sich die Variante verbreiten. Wie rasch das geht, hängt davon ab, wie geöffnet Österreich ist, wie gereist wird, wie sich die Menschen verhalten. Vor zehn Tagen haben wir gedacht, dass wir Anfang September je nach Durchimpfungsrate ein kleineres oder größeres Problem bekommen. Jetzt sagen Experten, dass sich die Zahlen seit Wochenbeginn verdoppelt haben. Da geht schon wieder etwas los.
Sie haben erste Verschärfungen verkündet. Das werden wohl nicht die letzten sein?
Die Zahlen sind auf niedrigem Niveau, aber sie steigen. In den Niederlanden, aber auch bei uns – etwa in der Steiermark – sehen wir, dass die Nachtgastronomie zu Clustern führt. Deshalb mussten wir jetzt handeln. Ab nächstem Wochenende brauchen Nicht-Geimpfte einen PCR-Test.
Die meisten Bundesländer haben uns signalisiert, dass sie es schaffen werden. Die Tests zahlt ohnehin der Bund und sie sind gratis. Besser ist, wenn sich die Jugendlichen impfen lassen. Da gibt es sehr kreative Angebote, der GAK bietet etwa Tickets in Kombination mit einer
Impfung an. An den PCR-Tests führt kein Weg vorbei.
Bis wann sind alle Impfwilligen durchgeimpft?
Wir schaffen aktuell vier Prozent der Bevölkerung pro Woche. Es kommt darauf an, wie
lange der Impfwille ungebrochen bleibt. te. Geimpfte sind zu 90 Prozent geschützt.
Wird die Politik Gutscheine verteilen?
Es gibt einen Teil der Bevölkerung, der sich von Fake News, die auch von politischen Parteien forciert werden, beeinflussen lässt. Sie werden sich auch nicht mit 50 Euro beeinflussen lassen. Wir planen einen gemeinsamen Impfaufruf mit den Ärzten und den Pflegeberufen. Das ist wirkungsvoller, als wenn man jemandem ein Schnitzel und ein Bier zahlt.
Ist es vorstellbar, dass ab Oktober, wenn jeder die Möglichkeit hatte, sich vollimmunisiern zu lassen, die Tests was kosten?
Über den Sommer bleiben die Tests gratis. Im Herbst werden irgendeinmal die Impfungen stagnieren. Wir haben weit über eine Milliarde Euro seit Beginn der Pandemie für Tests ausgegeben. Das war richtig, aber irgendwann muss das irgendwer zahlen. Es ist wichtig, dass die Leute über den Sommer das Impfangebot in Anspruch nehmen. Im Herbst werden wir die Lage neu bewerten. wenige auf den Intensivstationen. Wenn sich die 20 Prozent, die sich nicht impfen lassen wollen gleichzeitig anstecken, sind auch die Intensivstationen voll und es gibt keine Plätze für Doppelgeimpfte nach einem Autounfall. Man kann und soll das nicht trennen.
Wenn es wieder einen Lockdown gibt, haben wir es den Impfgegnern zu verdanken?
Ich halte nichts von Schuldzuweisungen. Die Leute holen sich die Informationen, von wo auch immer. Es gibt in den sozialen Medien Leute, die immer noch meinen, wer geimpft ist, bekommt keine Kinder. Das kann man den Menschen nicht vorwerfen, wir müssen auch diese Leute genauso mitnehmen. Wir werden durchimpfen, was geht. Es wird sich langsam herumsprechen, dass weltweit Hunderte Millionen Menschen geimpft worden sind ohne nennenswerte Nebenwirkungen.
Warum gibt es keine Impfpflicht für den Gesundheits-, Pflege-, vielleicht auch Bildungsbereich?
Eine generelle Impfpflicht kann ich ausschließen. Dass in Spitälern und Pflegeheimen gewisse Berufsgruppen geimpft sein müssen, finde ich richtig. Ich will nicht mit Druck arbeiten.
Es wäre epidemiologisch sinnvoll, wenn alle 24-Stunden-Pfleger sich impfen lassen müssen?
Wir müssen auch an mögliche Folgen denken. Wenn wir eine Impfung vorschreiben und deshalb ein maßgeblicher Teil der Pflegenden aufhört, haben wir ein noch größeres Versorgungsproblem.
Worauf müssen sich die Schulen gefasst machen? Wird man das Test-Regime fortsetzen, allerdings mit PCR-Tests?
Das ist die Zuständigkeit des Bildungsministers. Wir wollen das Infektionsgeschehen so in Schach halten, dass es einen sicheren Schulstart gibt. Ein wesentliches Element sind die PCR-Tests. Die Länder sind aufgerufen, das für den Herbst vorzubereiten. Die Nachtgastro ist der Auftakt.
Sind Schüler, die doppelt geimpft sind, ausgenommen?
Das schauen wir uns gerade an. Wichtig dabei wird auch die allgemeine Durchimpfungsrate sein. Die Fäden laufen da bei Minister Fassmann zusammen.
Können Sie einen Lockdown guten Gewissens ausschließen?
Wir machen alles, dass es nicht passiert. Die Lage ist anders als vor einem Jahr. Wir wollen den Fehler des letzten Jahres nicht wiederholen. Es sind 50 Prozent der impfbaren Bevölkerung noch nicht doppelt geimpft.
Der Fehler vor einem Jahr war, zu spät gehandelt zu haben?
Der Statistiker Erich Neuwirth hat im Herbst erklärt, er hat schon im Juli gesehen, dass das exponentiell wird. Man muss kein Professor sein, um das nachzuvollziehen. Die Kurve geht rasant nach oben, das hat mit der Delta-Variante zu tun.
Ist das eine versteckte Kritik am Kanzler und am Amtsvorgänger?
Wenn man zurückblickt, ist es immer leicht, Fehler zu erkennen. Das ist keine Kritik. Was man tun kann, ist allerdings, aus Fehlern zu lernen.