Die Wunderquelle von Wies
Ein vermeintliches Heilwasser machte das südweststeirische Wies einst international bekannt. Doch das Wunder war nur von kurzer Dauer.
Im Sommer 1960 gab es plötzlich ein erhöhtes Verkehrsaufkommen auf der Sulmtalstraße von Leibnitz nach Wies. In den Triebwagen der GKB saßen mehr Menschen als sonst, vor allem am Wochenende. Zu Tausenden pilgerten Heilsuchende aus dem In- und Ausland in den damals kleinen südweststeirischen Ort. Mopeds, Fahrräder und Autos schoben sich in Karawanen hinauf auf den Seltenriegel. Das zuvor recht stille Seitental, in dem es nur Wälder, einsame Keuschen und ein schmales Bacherl gab, war schlagartig berühmt geworden. Mitten in einer nassen und lehmigen Wiese stand dort eine kleine Holzhütte. Im Inneren sprudelte die Sensation: ein wundertätiges Wasser, das Abhilfe bei Krankheit und Beschwerden versprach.
In Windeseile hatte sich die Kunde vom „Wieser Wasser“aus der Seltenriegelquelle verbreitet. Allerorts hörte man Berichte über Heilungen. Ein deutscher Wissenschaftler zog in einem Privatgutachten sogar einen Vergleich mit der Quelle von Lourdes. Danach war das Wunder von Wies in aller Munde. Presseleute aus der Schweiz, England und Deutschland kamen und in der ganzen Region war bald kein Zimmer mehr zu bekommen.
Beim Quellenbesitzer und Gastwirt Karl Schelch klingelten die Kassen. Das Wunder hatte seinen Preis und das Geschäft florierte. Eigens produzierte Flaschenetiketten zeigten den Heiligen Georg im Kampf gegen einen Krebs. Marketing war eben schon damals gefragt. Bald kamen andere Quellenbesitzer in der Umgebung auf die Idee, ihr sprudelndes Nass anzupreisen und machten dem Wieser Wunder Konkurrenz.
Doch so schnell der Rummel um das Schelch-Wasser entstanden war, so schnell war er auch wieder vorbei. Dem Antrag auf Erklärung zur Heilquelle konnte letztlich nicht stattgegeben werden. Fachexperten analysierten die Seltenriegelquelle, ihr Urteil war vernichtend. Das Wasser, so hieß es, weise keinerlei Besonderheiten auf und sei von normalem Tafelwasser nicht zu unterscheiden. Eine heilende Wirkung sei somit ausgeschlossen.
Doch selbst danach hielt die Nachfrage an. Geschäfte in zahlreichen österreichischen Bundesländern verkauften das vermeintliche Wunderwasser weiterhin zu hohen Preisen. Für drei Schilling bekam man einen Liter davon in Wies, in Graz zahlte man dafür schon fünf Schilling, in Linz sogar acht.
Auch ins Ausland wurde exportiert. Per Zisternenlaster kam das Wieser Wasser sogar bis nach Frankreich.
Das Geschäft mit dem wundersamen Nass fand schließlich ein jähes Ende, als bei einer routinemäßigen amtsärztlichen Untersuchung Verunreinigungen durch Coli-Bakterien festgestellt wurden. Daraufhin wurde die Quelle behördlich gesperrt und mehr als tausend Doppelliterflaschen in den beiden Hauptverkaufsstellen in Wien wurden sichergestellt.
Jahre später führte das Wasser noch zu einem Gerichtsstreit unter Wissenschaftlern. Friedrich Petuely, der damalige Direktor der Bundesstaatlichen Lebensmitteluntersuchungsanstalt in Graz hatte in seinem vernichtenden Gutachten über das angebliche Heilwasser aus Wies auch das Privatgutachten des deutschen Chemikers Karl Höll als unseriös ausgewiesen. Daraufhin konterte dieser mit einer Klage wegen Ehrenbeleidigung. Im Grazer Bezirksgericht fand die Sache schließlich ein Ende. Höll zog seine Privatklage gegen Petuely zurück. Damit war über das Wunderwasser und die Methoden, die es berühmt gemacht hatten, das letzte Wort gesprochen.
In Wies versiegte die Pilgerschar, die einstige Sensation geriet in Vergessenheit. Geblieben ist allein die damals neu geschaffene Eisenbahn-Haltestelle „Wies-Markt“und eine Hinweistafel, die noch heute den Weg zur Seltenriegelquelle weist.