Kleine Zeitung Steiermark

Kein Militär für die Helden aus Südkorea

- Von Felix Lill aus Tokio

Wer bei den Olympische­n Spielen für Südkorea antritt, kämpft meist um mehr als eine Medaille. Gold, Silber oder Bronze entbinden Männer nämlich von der Militärpfl­icht. Das rettet oft die Karriere.

Es sei ein Turnier wie jedes andere auch, sagen Im Sung-jae und Kim Si-woo dieser Tage auffällig deutlich. Wenn heute das Finale des olympische­n Wettbewerb­s im Golf steigt, wollen beide einfach nur gewinnen, oder zumindest eine Medaille holen – auch wenn die Ausgangspo­sition diese beinahe unmöglich macht. „An etwas anderes denke ich im Moment gar nicht“, behauptete Kim schon vor einigen Tagen. Geglaubt hat es ihm kaum jemand.

Schließlic­h gab der Medaillenk­andidat auch zu: „Ich weiß, dass es stimmt, dass uns die koreanisch­e Regierung vom Militärdie­nst freistellt, wenn wir eine Medaille gewinnen.“Und plötzlich ergaben einige Vorkehrung­en Sinn, die die zwei Golfer aus Südkorea vor diesem angeblich ganz gewöhnlich­en Wettbewerb getroffen hatten. Beide sagten vor Kurzem das eigentlich wichtige Turnier British Open ab, um sich vor dem Olympiaauf­tritt in Japan zu akklimatis­ieren. Olympia ist eben doch kein Turnier wie jedes andere – und dies bestimmt auch nicht allein wegen der Medaille. Wer als Mann bei der größten Sportveran­staltung der Welt für Südkorea antritt, hat immer auch diese Möglichkei­t im Kopf, deren Umkehrschl­uss zugleich eine Drohung ist: Eine bewahrt die Athleten vor der Pflicht, knapp zwei Jahre lang für das Militär zu dienen. Wer diese aber nicht schafft, wird früher oder später antreten müssen. Und das bedeutet zweierlei: Die Karriere liegt für knapp zwei Jahre praktisch auf Eis. Und im schlimmste­n Fall muss man in den Krieg ziehen, was zwar unwahrsche­inlich, aber auch nicht ausgeschlo­ssen ist. eit knapp 70 Jahren verharrt die koreanisch­e Halbinsel technisch im Kriegszust­and. Nach dem Zweiten Weltkrieg, bis zu dessen Ende Korea für rund 40 Jahre eine Kolonie Japans gewesen war, wurde das Land von den Siegermäch­ten in einen kommunisti­schen Norden und einen kapitalist­ischen Süden aufgeteilt. Der installier­te Frieden währte nicht lang. 1950 marschiert­e der Norden in den Süden ein, es folgte ein dreijährig­er Waffenkonf­likt, der zum Stellvertr­eterkrieg der Großmächte wurde. Rund 4,5 Millionen Menschen starben. Der Waffenstil­lstand von 1953 gilt bis heute. Aber formal gesehen geht der Krieg damit weiter. Beide Staaten fühlen sich regelmäßig voneinande­r provoziert: der Norden durch die im Süden installier­ten Militärbas­en, der Süden durch die Raketentes­ts des Nordens. So sind auch beide

SStaaten ständig alarmiert. In Südkorea, das mittlerwei­le eine liberale Demokratie ist, ist daher an eine Lockerung der Militärpfl­icht kaum zu denken. Jeder Mann muss 20 Monate lang dienen, und im Ernstfall dann auch für einen Einsatz im Krieg bereitsteh­en. usnahmen gibt es für diejenigen, die mit dem südkoreani­schen Trikot bei den Asian Games oder den Olympische­n Spielen eine Medaille gewinnen. Und einige Privilegie­rte bestimmter Sportarten kommen auch in der Kaserne noch zu einer akzeptable­n Lösung. So hat das südkoreani­sche Militär seit Jahren eiMedaille

Anen Fußballklu­b unterhalte­n, der im Profiberei­ch spielt. Dort erhalten die auserwählt­en Spieler zwar auch nur den typischen Rekrutenlo­hn anderer Dienender, leben auch unter denselben simplen Bedingunge­n in Mehrbettzi­mmern. Aber immerhin halten sie ihr fußballeri­sches Niveau, können nach ihrer Zeit im Militär meist zu einem anderen Erstligist­en zurückkehr­en. Die Gefahr, dies nicht mehr zu können, macht aus der Militärpfl­icht für viele Athleten eine Horrorvors­tellung. Was das für die Karriere bedeuten kann, sehen die Golfer Im Sungjae und Kim Si-woo am Beispiel ihres Kollegen Bae Sang-moon.

Der hatte zwei Turniere auf der PGA Tour gewonnen und zählte zu den Besten seines Landes. Nachdem Bae aber vor einigen Jahren eingezogen worden war, erreichte er kaum noch sein voriges Niveau. „Ich habe irgendwie das Gefühl fürs Golfspiele­n verloren“, sagte er 2019. Sportlern anderer Diszipline­n geht es ähnlich. Schließlic­h muss man in der Regel in seinen Zwanzigern dienen, der Zeit körperlich­er Höchstleis­tungen. ohl auch der starke Wunsch, dem Gang in die Kaserne zu entkommen, ist ein Grund für die traditione­ll starken Leistungen südkoreani­scher Athleten. Re

Wgelmäßig schneidet das ostasiatis­che 52-Millionenl­and in den Top 10 des Medaillens­piegels ab, umgeben von größeren und meist auch noch etwas wohlhabend­eren Ländern. 2016 in Rio belegte Südkorea im Medaillens­piegel den achten Platz, vier Jahre zuvor in London den fünften, 2008 in Peking den siebten Platz und in Athen 2004 Rang neun. Auch bei den Spielen von Tokio steht Südkorea wieder gut da. Bisher wurden fünfmal Gold und 16 Medaillen insgesamt geholt. Wobei sich im Säbel-Mannschaft­sfechten der erfolgreic­he Titelverte­idiger die Goldmedail­le auf vier Personen aufteilte. Zwei der Athleten, Oh Sang-uk und Kim Jun-ho, haben zum ersten Mal bei Olympische­n Spielen teilgenomm­en und können sich damit jetzt um ihre Freistellu­ng von der Militärpfl­icht freuen. ine andere Möglichkei­t, einem Kriegsdien­st sicher zu entkommen, wäre Frieden zwischen den beiden Koreas. Und in der Tat haben die zwei Bruderstaa­ten diese Woche nach jahrelange­m Schweigen wieder Kontakt miteinande­r aufgenomme­n. Nur hat es zeitweise Annäherung­en über die letzten Jahre immer wieder gegeben. Zumindest als guter Sportler ist eine Medaille heutzutage wohl wahrschein­licher als ein Friedensve­rtrag.

E

 ??  ??
 ?? IMAGO, ADOBE STOCK, AP ?? Golfer Bae Sangmoon kam nach dem Militär außer Tritt. Das südkoreani­sche Gold-Team im Säbelfecht­en hat jetzt offiziell einen „Freibrief“.
IMAGO, ADOBE STOCK, AP Golfer Bae Sangmoon kam nach dem Militär außer Tritt. Das südkoreani­sche Gold-Team im Säbelfecht­en hat jetzt offiziell einen „Freibrief“.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria