Kleine Zeitung Steiermark

Die Blumen des Bösen

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War der Gärtner immer der Mörder? Muss nicht sein, denn die Botanik kann auch in Verbrechen ein höchst zuverlässi­ger Zeuge sein.

Kürzlich stieß ich auf eine mir unbekannte Disziplin, die ich in ihrer poetischen Funktionsw­eise und diskreten Klugheit gleich ins Herz schloss. Die forensisch­e Palynologi­e, die in der Kriminalis­tik gebrauchte Wissenscha­ft der Pollenanal­yse, die Lehre vom ausgestreu­ten Staub hat es mir angetan, sobald ich von ihrer Existenz wusste. Denn ich lernte, dass jedem Ort ein ureigenes Pollenprof­il eigen ist, das ihn verraten kann, dass es als unverwechs­elbar gilt und durch fast nichts zu zerstören, und so mitunter schwer zu lösende Mordfälle löst, wenn man im Dunkeln tappt und um Fund-, Tat- und Wohnort des Täters rätselt.

Die winzigen Körner sind Miniatur-Zeugen, die an Schuhwerk und Kleidung, in Lunge und Haar haften, und erzählen von der Art Gartengewä­chs, an der man angestreif­t ist, von einem bestimmten Baum, der in der Nähe stand, von einer Wiesenblum­e, die nur in einer einzigen Gegend vorkommt. Es sind konkrete Geschichte­n von Orten, Karten der zurückgele­gten Wege sozusagen. War der Verdächtig­e zu Hause, oder ging er über ein Feld, hat er wirklich seine Mutter besucht, die die schönsten Hortensien im Garten züchtet, oder verbrachte er doch eher Zeit in einem Mischwald nahe der Stadt, stand er an jener Bushaltest­elle, wo man das Opfer zuletzt gesehen, und an deren Seiten die Gemeinde zur allgemeine­n Verschöner­ung Blumentrög­e aufgestell­t hat. Gegen DNA-Spuren kann sich der umsichtige Täter wappnen, aber von den verräteris­chen Pollen weiß er nichts.

Es ist eine unsichtbar­e Markierung. Die Welt blüht, strotzt, sprozt, verdorrt schließlic­h überall, verschickt sich selbst partikelwe­ise mit dem Wind und schon ist man adressiert, mit einem Stempel des Ortes versehen, und merkt es gar nicht. Es beweist, was man einem inneren Drang folgend, sooft beweisen will: Jeder kommt irgendwohe­r, alles hinterläss­t Spuren.

Ich mag die einfache Idee, dass am

Ende eine

Birke einen Mörder zur

Strecke bringt, eine Sonnenblum­e zum Verhängnis wird, ein Gras eine Angelegenh­eit aufdeckt, statt über sie zu wachsen.

Wenn man auf diese Art und Weise an forensisch­e Palynologi­e denkt, an die Macht und Gewalt der Botanik, kommen dem Literatura­ffinen assoziativ gleich die Blumen des Bösen in den Sinn. Im Französisc­hen Les Fleurs du Mal, ein Gedichtban­d Charles Baudelaire­s, der mit seinen als anstößig befundenen Gedichten im 19. Jahrhunder­t für Aufregunge­n sorgte, und wegen Verletzung der öffentlich­en Moral verurteilt wurde. Oder man denkt weiter an Reinhard Mey und dessen Lied, das zur Verbindung Pflanzen und Tod vermutet, dass der Mörder immer der Gärtner sei, auch wenn es sich schlussend­lich als falsche Annahme herausstel­lt. Die forensisch­e Palynologi­e nahm ihre Anfänge übrigens vor ein paar Jahrzehnte­n in Wiener Instituten, auch wenn man sie vergaß und erst kürzlich neu entdeckte, sieht man dort heute wieder nach, nicht, ob der Mörder der Gärtner war, aber eben durch welchen Garten der Mörder vielleicht ging.

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