Taferklassler im heimischen Wohnzimmer
Isabella Hatzl und Gundi Minutillo zählen zu knapp 1100 Eltern, die ihre Kinder nun daheim unterrichten. Auf der Suche nach dem Warum.
Homeschooling – seit der Coronakrise ein Unwort, das viele mit einer großen Anstrengung und Frust verbinden. Anders ist das bei Isabella Hatzl und Gundi Minutillo. Die Mütter haben sich dafür entschieden beim Homeschooling zu bleiben und ihre Kinder zu Hause zu unterrichten. Knapp 1100 steirische Kinder und Jugendliche wurden für das kommende Schuljahr von der Schule abgemeldet – so viele wie noch nie. Die meisten führen die Corona-Maßnahmen als Grund dafür an.
„In der Schule herrscht keine Kontinuität, das will ich meiner Tochter beim Schuleintritt nicht antun“, erklärt Hatzl, die aber keinesfalls in die Gruppe der Coronaleugner eingeordnet werden will. Sie ist geimpft, testet sich regelmäßig und hat auch Erfahrung mit häuslichem Unterricht. Hatzl hat schon ihre ältere Tochter (18) selbst unterrichtet. „Mit 14 hat sie dann in eine reguläre Schule gewechselt und dort ihren Abschluss gemacht.“
Minutillo wiederum hat fünf Kinder zwischen zwei und neun Jahren. Die drei Schulpflichtigen werden zu Hause unterrichtet. „Wir haben das mit ihnen besprochen“, meint die studierte BWL- und Sportwissenschaftlerin. Wichtig ist, ihr zu betonen: „Ich bin kein Revoluzzer, ich glaube nur, dass es auch andere Schulwege gibt.“
habe sie gemeinsam mit ihrem Mann getroffen. „Natürlich musst du dir die Zeit nehmen und das Kind gut begleiten. Bei uns gibt es auch klare Regeln, aber die Kinder können sich entfalten.“Besser als in der Schule, ist sie überzeugt. Dort stehe der Wettbewerb im Vordergrund, der „Ernst des Lebens beginnt“wird Tafelklässlern attestiert. Das widerspreche ihren Vorstellungen. „Kinder sollen keine Angst vor der Schule haben, sondern mit Lehrern auf Augenhöhe sein. Wo passiert das schon? Und kritisches Hinterfragen lernen.“
Hinterfragen tun Minutillo und Hatzl jedenfalls selbst: und zwar das System im Ganzen. „In der Schule gibt es enorm viel Druck, außerdem was macht das mit einem Kind, wenn es ,Ungenügend’ ist? Das heißt, nicht zu genügen,“so Minutillo.
geht es aber auch beim häuslichen Unterricht nicht. Denn am Ende des Schuljahres muss das Kind eine Prüfung ablegen, wo geprüft wird, ob der Stoff auch gelernt und verstanden wurde. Die beiden Mütter empfehlen, schon im Herbst Kontakt mit Lehrern und Prüfern aufzunehmen, um abzuklären, was das Kind am Jahresende genau können sollte. „Und dem Kind kann man sagen, dass es an dem Tag endlich zeigen darf, was es alles kann. Das ist doch schön. Und die Einstellung ist gleich eine andere.“
Diese sogenannte Externistenprüfung nun auf zwei (also eine schon nach dem Wintersemester) auszudehnen, wird derzeit überlegt. Da die Zahl der Schulabmeldungen österreichweit gerade enorm gestiegen ist, soll dies eine der Verschärfungen sein. „Das finden wir nicht zielführend. Das resultiert darin, dass Leute, die Heimunterricht machen, gegen andere aufgehetzt werden“, meinen die beiden Mütter.
Hatzl und Minutillo orientieren sich beim Unterrichten an den regulären Schulbüchern und Lehrplänen. Mit dem Unterschied, so meinen sie, dass bei ihnen einmal eine Unterrichtsstunde beim Imker oder eine Mal-Session bei einem Künstler am Stundenplan stehen. Doch decken das Schulen nicht auch ab? „Wir sagen nicht, dass das eine oder andere System besser ist. Bildung ist wichtig, es
Wir haben uns gut informiert, ich lese sehr viele Bücher über Lernen und besuche Workshops. Es braucht auch den Austausch mit anderen Eltern, die das machen. braucht die Vielfalt, aber man sollte selbst entscheiden dürfen, was man für richtig hält. Schließlich ist häuslicher Unterricht auch gesetzlich erlaubt (siehe Infobox)“, meint Hatzl.
„Meine älteste Tochter, eine kommunikative Einserschülerin, war zunächst in der Schule, sie kam oft heim, war gestresst und hat viele Sorgen mitgebracht“, erzählt Minutillo. Das habe die Mutter belastet. Bei der jüngeren Tochter, die im
Heimunterricht war, zeigte sich hingegen mehr Entspannung und eine Art Zufriedenheit.
zu wenig sozialen Kontakt hätten – wie oft von Kritikern angemerkt wird – lassen die Mütter nicht gelten: „Wir sind ja mit anderen Familien befreundet, unsere Kinder gehen auf den Spielplatz, es gibt Tanten, Onkeln, Großeltern – das Netzwerk ist groß.“Genau das gibt es nicht immer, befürchten Expertinnen und Experten. Was der häusliche Unterricht auch nicht bieten könne, sei die Vielfalt, wie Psychologin Luise Hollerer betont: „In einer Schule kommen unterschiedliche Lebensentwürfe, ethische, gender- oder sozioökonomische Aspekte zusammen.“Auch diesem Argument widersprechen Hatzl und Minutillo und verweisen auf ein breites Netzwerk an Familien. Man tauscht sich aus, teilt Erfahrungen,
Vielleicht habe ich auch schon den entsprechenden Freundeskreis, aber mein Umfeld reagiert
durchwegs positiv darauf,dassichmeinKind
zu Hause unterrichte.
hilft einander. Die Kinder lernen und spielen gemeinsam. Doch das ist nicht überall so. Bei der Bundesstelle für Sektenfragen häufen sich die Beschwerden über Verschwörungstheoretiker oder Personen, die ihre Kinder aus religiösen Gründen von der Schule abmelden. „Das sind zum Beispiel extrem christliche Gemeinschaften, die Probleme mit dem Sexualkundeunterricht haben“, sagt Ulrike Schiesser
von der Bundesstelle. Auf Minutillo und Hatzl trifft das nicht zu, aber: „Wir wollen von Bildung reden und das System überdenken. Kinder lernen natürlich und kreativ. Das geht leider oft verloren heutzutage.“
Hatzls Tochter (6) kommt angerannt: „Mama, darf ich zeichnen?“Darf sie. In ein paar Wochen sollen dann aus den Kreisen die ersten Buchstaben entstehen, allerdings zu Hause im eigenen Wohnzimmer.