„Ich dachte, die ganze Welt hasst mich“
Digitale Empörungswellen können gesundheitliche und finanzielle Folgen haben. Wie es Betroffenen ergeht, erfährt die breite Masse jedoch nur selten.
Juni 2021. Die Fußball-EM sorgt für Gesprächsstoff auf sozialen Netzwerken. Im Twitter-Gespräch mit einer Bekannten, die zum gegnerischen Team hält, postet Podcasterin Beatrice Frasl einen scherzhaften Kommentar. Was dann passiert, sprengt alle Proportionen. Was seitens Frasl als zynische Kritik gegen Xenophobie gemeint war, wurde als „Witz über Abschiebungen“gedeutet, was für Empörung sorgte. „Das war nicht meine Absicht, ich habe den Kommentar sofort gelöscht und mich entschuldigt, zweimal“, sagt Frasl. Doch ihr Kommentar, der nur wenige Minuten online und gar nicht so gemeint war, sollte sie monatelang verfolgen und sogar ihre Gesundheit gefährden.
Was die 34-jährige Wienerin erleben musste, ist kein neues Phänomen. Digitale Empörungswellen, auch „Shitstorms“genannt, gibt es schon seit der Geburtsstunde sozialer Netzwerke. Eine Beobachtung, die auch Anna-Lena von Hodenberg bestätigen kann. Sie ist Geschäftsführerin des Vereins HateAid, einer Beratungsstelle für Betroffene digitaler Gewalt mit Sitz in Berlin. Bis heute ist es beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, einen Shitstorm abzuwehren – und das, obwohl versucht wird, juristische Rahmenbedingungen zu schaffen.
„Twitter, Facebook und Co. haben ihre Algorithmen darauf getrimmt, Inhalte mehr zu verbreiten, wenn unter ihnen viele kommentieren oder liken“, sagt von Hodenberg. „Hass, Empörung und Wut sind Inhalte, die viele Menschen triggern, oftmals mehr als positive Inhalte wie zum Beispiel Katzenvideos.“Hinzu kommt, dass der Mechanismus manipuliert werden kann, indem sich User zusammenschließen, um eine Person systematisch fertig zu machen.
Dass die Folgen von Hass im Netz ähnlich ausfallen wie bei physischer Gewalt, bestätigt Caroline Kerschbaumer, Geschäftsführerin des Vereins Zara (Zivilcourage & Anti-RasLeute
sismus-Arbeit). „Hinzu kommen Faktoren, die die Auswirkungen noch verschlimmern können“, sagt Kerschbaumer. „Schließlich gibt es bei Empörungswellen nicht nur einen Täter, sondern Tausende. Das kann eine unfassbare Größe annehmen.“
Zur psychischen Belastung kommen nicht selten finanzielle Probleme. Das hat auch Frasl erlebt: „Oft trifft es ja genau die Menschen, die aktiv auf Instagram sind und damit ihr Geld verdienen.“So gehen Mob-Mitglieder oft auf Werbekunden der oder des Betroffenen zu – in der Hoffnung, dass Kooperationen abgebrochen werden. Frasl spricht von einer gegenseitigen Zerfleischung: „Bei mir ging das wochenlang so, dass ich nicht einmal außer Haus gehen konnte. Ich hatte das Gefühl, die ganze Welt hasst mich.“Sie zog den Stecker, verbrachte einige Zeit offline. Und sie nahm Therapie in Anspruch.
Wenn man plötzlich im Internet zum Hassobjekt wird, ist es wichtig, Kontakt zu anderen Menschen zu suchen, die einen kennen und zu schätzen wissen. Geschäftsführerin von Hodenberg: „Wir raten Angegriffenen in einer Akutsituation, zu versuchen, sich maximal zu distanzieren und bloß nicht alles durchzulesen. Denn jeder Hasskommentar ist am Ende eine Gewalterfahrung und bleibt hängen.“