It’s the Story, immer die Story!
Internationale Konzerne warnen vor Graz“. „Die Verwechslung von Politik und Sozialarbeit“. „Das Letzte, was Nagl verdient hat“. „Niemand hätte sich in seinen bösesten Träumen so ein Ergebnis vorgestellt“. An den Tagen nach der Wahl waren das die bestimmenden Headlines.
Als Bühnenregisseur bin ich immer damit beschäftigt, wie etwas erzählt wird und welchen Effekt es auf ein Publikum haben kann. Die plakative Katastrophenrhetorik und die überschießende Resonanz in den Echokammern der sozialen Medien gerieten miteinander in Wallung.
Im Blatt wurden trauernde Politikergesichter auf die Titelseite gepackt und breit die Gefühle der Wahlverlierer beschrieben. Die darunterliegenden Artikel und Interviews versuchten es zwar durchaus mit Abwägen und Differenzieren, aber wer nimmt das wahr, wenn das Stammhirn Katastrophe schreit?
Der Historiker Yuval Harari beschreibt als Merkmal der Menschheit, dass sie sich über Erzählungen organisiert. Die großen Narrative haben ganze Zivilisationen definiert und Individuen Zugehörigkeit gegeben; man muss hier nicht nur an die Bibel oder das Mahabharata denken. Die ökofeministische Theoretikerin Donna Haraway fordert im Angesicht der Klimakrise: Tell different Stories. Erzählt nicht mehr die maskulinen Heldengeschichten von Aufstieg und Fall, sondern Gefährt*innen-Geschichten von Solidarität über die Spezies hinweg und gewinnt dadurch eure Zuversicht zurück. Es ist von Gewicht, welche Geschichten Welten machen. ielleicht war es ein Wahlsieg der Gefühle derer, die über Jahre zu reinem Humankapital oder Abgehängten wurden, deren Stadträume hemmungslos für Investitionsträume umgewidmet geworden sind und deren Lohn oft nur für den täglichen Bedarf reicht. Ein Wahlsieg einer Jugend, die sich nicht einem fossilen Wirtschaftsdiktat opfern will, sondern um das Klima und eine Zukunft kämpft. Diese und jene, die nicht wollen, dass es viele solche Schicksale in einer reichen Stadt gibt, haben offensichtlich so gewählt. Emphatische Betrachtungen dieser Gefühlslagen möchte ich gerne öfter in den Medien sehen. Es heißt nicht mehr – wie zu Bill Clintons Zeiten – It’s the economy stupid! – It’s the story, my heart!
Ed. Hauswirth ist Regisseur im Grazer Theater im Bahnhof.
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