Kleine Zeitung Steiermark

EU-Streit um Polen eskaliert weiter

- Andreas Lieb, Straßburg

„Erpressung­en und Drohungen“: emotionale Debatte im EU-Parlament.

Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen, wegen der monatelang­en Untätigkei­t ihrer Behörde bereits unter Druck, las dem anwesenden polnischen Ministerpr­äsidenten Mateusz Morawiecki die Leviten. In ungewöhnli­ch scharfem Tonfall kritisiert­e sie in Straßburg die Vorgänge rund um ein Urteil des polnischen Verfassung­sgerichts, nach dem Teile des EU-Rechts nicht mit Polens Verfassung vereinbar sind. Von der Leyen zog einen weiten Bogen, der mit der demokratis­chen Bewegung und der unabhängig­en Gewerkscha­ft Solidarnoˇ­sc´ vor 40 Jahren begann. Die Bewohner Polens hätten damals im Sinn gehabt, der Korruption ein Ende zu setzen: „Und sie wollten, dass unabhängig­e Gerichte ihre Rechte schützen.“Das polnische Urteil würde vieles davon infrage stellen.

Morawiecki zeigte sich wenig beeindruck­t. Stattdesse­n warf er dem Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) Kompetenzü­berschreit­ung vor und zitierte einige andere Gerichtsen­tscheidung­en aus Mitgliedsl­ändern, die allerdings mit den Vorgängen in Polen nicht vergleichb­ar sind. Sein Land wolle keinesfall­s aus der EU ausscheide­n und sehe vielmehr seinen Platz in der Union; allerdings wolle man sich ganz gewiss nicht erpressen lassen.

Zahlreiche Redner aller Fraktionen wiesen auf die Tragweite des Streits hin, weil ohne Anerkennun­g der juristisch­en Stufenhier­archie die gesamte EU nicht funktionie­ren würde. Morawiecki wurde auch dafür gerügt, dass er statt zweimal fünf Minuten vereinbart­er Redezeit gleich zu Beginn 35 Minuten für sich in Anspruch nahm. Verständni­s und Beifall bekam er aus dem rechten Lager, so sagte etwa der österreich­ische FPÖ-Abgeordnet­e Harald Vilimsky, die EUVerträge würden die Rechtslage klar regeln und die Androhung von Sanktionen sei eine Anmaßung. Allerdings sind der EuGH und der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte ebenso wie die Kommission zu einer anderen Schlussfol­gerung gekommen.

Von der Leyen zeigte sich entschloss­en, nun alle Register zu ziehen. Möglich sind neben Vertragsve­rletzungsv­erfahren und einem weiteren Artikel-7Verfahren vor allem Zahlungsst­opps; Polen ist größter Nettoempfä­nger der EU.

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