EU-Streit um Polen eskaliert weiter
„Erpressungen und Drohungen“: emotionale Debatte im EU-Parlament.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, wegen der monatelangen Untätigkeit ihrer Behörde bereits unter Druck, las dem anwesenden polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki die Leviten. In ungewöhnlich scharfem Tonfall kritisierte sie in Straßburg die Vorgänge rund um ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, nach dem Teile des EU-Rechts nicht mit Polens Verfassung vereinbar sind. Von der Leyen zog einen weiten Bogen, der mit der demokratischen Bewegung und der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnoˇsc´ vor 40 Jahren begann. Die Bewohner Polens hätten damals im Sinn gehabt, der Korruption ein Ende zu setzen: „Und sie wollten, dass unabhängige Gerichte ihre Rechte schützen.“Das polnische Urteil würde vieles davon infrage stellen.
Morawiecki zeigte sich wenig beeindruckt. Stattdessen warf er dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Kompetenzüberschreitung vor und zitierte einige andere Gerichtsentscheidungen aus Mitgliedsländern, die allerdings mit den Vorgängen in Polen nicht vergleichbar sind. Sein Land wolle keinesfalls aus der EU ausscheiden und sehe vielmehr seinen Platz in der Union; allerdings wolle man sich ganz gewiss nicht erpressen lassen.
Zahlreiche Redner aller Fraktionen wiesen auf die Tragweite des Streits hin, weil ohne Anerkennung der juristischen Stufenhierarchie die gesamte EU nicht funktionieren würde. Morawiecki wurde auch dafür gerügt, dass er statt zweimal fünf Minuten vereinbarter Redezeit gleich zu Beginn 35 Minuten für sich in Anspruch nahm. Verständnis und Beifall bekam er aus dem rechten Lager, so sagte etwa der österreichische FPÖ-Abgeordnete Harald Vilimsky, die EUVerträge würden die Rechtslage klar regeln und die Androhung von Sanktionen sei eine Anmaßung. Allerdings sind der EuGH und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ebenso wie die Kommission zu einer anderen Schlussfolgerung gekommen.
Von der Leyen zeigte sich entschlossen, nun alle Register zu ziehen. Möglich sind neben Vertragsverletzungsverfahren und einem weiteren Artikel-7Verfahren vor allem Zahlungsstopps; Polen ist größter Nettoempfänger der EU.