Die Grenzen kommen wieder
Auf einer Fahrt in den ersten Nachkriegsjahren aus der Steiermark nach Wien war immer eine leise Angst der Begleiter. Am Semmering und Wechsel musste man die „Demarkationslinie“von der englischen in die russische Besatzungszone überschreiten. Immer wieder hörte man von jemandem, der am Semmering aus dem Zug heraus verhaftet wurde und vielleicht erst Jahre später aus Sibirien zurückkam – oder auch nie mehr.
Die Ostgrenze Österreichs zur Tschechoslowakei und Ungarn wurde bis 1989 durch den „Eisernen Vorhang“gebildet. Eine strenge Kontrolle und eventuell die Durchsuchung des Autos gehörten zum üblichen Ritual, das psychologisch dadurch verschärft wurde, dass der Pass bei einem Schalter abgegeben wurde und nach bangen Minuten bei einem anderen Schalter wieder herauskam.
Auch als dann in den Sechzigerjahren das große Reisen begann, waren damit nicht die Grenzkontrollen beseitigt. Möglichst viele Stempel im Reisepass galten seinerzeit als stolzer Ausweis der Vielgereistheit. Die Rückkehr aus dem Sehnsuchtsland Italien war häufig mit einem Nervenkitzel verbunden, weil man vor dem österreichischen Zöllner die günstig gekaufte Lederjacke verbergen wollte.
Das alles war vergessen, als nach dem EU-Beitritt und dann mit Schengen die Zeit des grenzenlosen Reisens begann. Nicht einmal einen Pass brauchte man nun und die peniblen Sicherheitskontrollen am Flughafen waren auch noch nicht erfunden. Bis die Pandemie ausbrach.
Wer in diesem Sommer mit dem Auto nach Kroatien fuhr, konnte an der slowenisch-kroatischen Grenze ohne Weiteres zwei bis drei Stunden verbringen; aber nicht etwa, weil dort so strikte Kontrollen der Gesundheitsmaßnahmen vorgenommen worden wären, sondern weil man nur ein oder zwei Fahrstreifen besetzt hatte: die Pandemie als Vorwand für Schikanen. ür die Einreise nach Italien braucht man ein von der EU ausgegebenes, mit italienischer bürokratischer Raffinesse angereichertes Formular, das man absurderweise halb deutsch und halb englisch ausfüllen muss. So lernt auch eine neue Generation von Europäern, was Grenzen sind.
lebt als Journalist in Wien.
„Möglichst viele Stempel im Reisepass galten seinerzeit als stolzer Nachweis der Vielgereistheit.“
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