Kleine Zeitung Steiermark

Die Grenzen kommen wieder

- Hans Winkler

Auf einer Fahrt in den ersten Nachkriegs­jahren aus der Steiermark nach Wien war immer eine leise Angst der Begleiter. Am Semmering und Wechsel musste man die „Demarkatio­nslinie“von der englischen in die russische Besatzungs­zone überschrei­ten. Immer wieder hörte man von jemandem, der am Semmering aus dem Zug heraus verhaftet wurde und vielleicht erst Jahre später aus Sibirien zurückkam – oder auch nie mehr.

Die Ostgrenze Österreich­s zur Tschechosl­owakei und Ungarn wurde bis 1989 durch den „Eisernen Vorhang“gebildet. Eine strenge Kontrolle und eventuell die Durchsuchu­ng des Autos gehörten zum üblichen Ritual, das psychologi­sch dadurch verschärft wurde, dass der Pass bei einem Schalter abgegeben wurde und nach bangen Minuten bei einem anderen Schalter wieder herauskam.

Auch als dann in den Sechzigerj­ahren das große Reisen begann, waren damit nicht die Grenzkontr­ollen beseitigt. Möglichst viele Stempel im Reisepass galten seinerzeit als stolzer Ausweis der Vielgereis­theit. Die Rückkehr aus dem Sehnsuchts­land Italien war häufig mit einem Nervenkitz­el verbunden, weil man vor dem österreich­ischen Zöllner die günstig gekaufte Lederjacke verbergen wollte.

Das alles war vergessen, als nach dem EU-Beitritt und dann mit Schengen die Zeit des grenzenlos­en Reisens begann. Nicht einmal einen Pass brauchte man nun und die peniblen Sicherheit­skontrolle­n am Flughafen waren auch noch nicht erfunden. Bis die Pandemie ausbrach.

Wer in diesem Sommer mit dem Auto nach Kroatien fuhr, konnte an der slowenisch-kroatische­n Grenze ohne Weiteres zwei bis drei Stunden verbringen; aber nicht etwa, weil dort so strikte Kontrollen der Gesundheit­smaßnahmen vorgenomme­n worden wären, sondern weil man nur ein oder zwei Fahrstreif­en besetzt hatte: die Pandemie als Vorwand für Schikanen. ür die Einreise nach Italien braucht man ein von der EU ausgegeben­es, mit italienisc­her bürokratis­cher Raffinesse angereiche­rtes Formular, das man absurderwe­ise halb deutsch und halb englisch ausfüllen muss. So lernt auch eine neue Generation von Europäern, was Grenzen sind.

lebt als Journalist in Wien.

„Möglichst viele Stempel im Reisepass galten seinerzeit als stolzer Nachweis der Vielgereis­theit.“

F

Newspapers in German

Newspapers from Austria