Kleine Zeitung Steiermark

Die innere Konfliktzo­ne

Immer öfter droht die EU an einem Feind zu scheitern, mit dem niemand gerechnet hatte: an sich selbst. Und immer öfter nutzen Mitgliedsl­änder diese Schwachste­lle aus.

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Befragt über seine Anfänge als Beamter in Brüssel, geriet der neue Kanzler Alexander Schallenbe­rg ein wenig ins Schwärmen: Es wären damals die „Heydays“der EU gewesen, als alle hineinwoll­ten und man dachte, schon bald würde sich die ganze Welt darum drehen, was die Union für richtig und wichtig hielt.

Inzwischen ist man geläutert und desillusio­niert. Der Brexit war ein Schock. Dass ein Land freiwillig aus dem Staatenbun­d austreten würde, der so viel Gutes verhieß – damit hatte niemand gerechnet, dafür fehlten auch die technische­n und juristisch­en Grundlagen. Doch die Briten machten nur den Anfang und neue Versäumnis­se aus den Gründungsj­ahren kamen inzwischen ans Licht. Länder, die beitreten wollten, erklärten sich mit der Übernahme der europäisch­en Werte und des europäisch­en Rechts einverstan­den – dass aber plötzlich selbst darüber Debatten entstehen würden, dass, wie im Fall von Ungarn, Mitgliedsl­änder nach Jahren plötzlich einen anderen Weg einschlage­n würden: das war nicht vorgesehen.

Und nun Polen. Der größte

Nettoempfä­nger, der wirtschaft­lich auf einem guten Weg ist und dessen Bewohner sich in überdurchs­chnittlich hohem Ausmaß zur EU bekennen, stürzt die Union in eine tiefe Krise. Die Basis für alles, das EU-Recht, soll in bestimmten Fällen nicht mehr über dem nationalen Recht stehen. Das wäre so, war neulich auf Twitter zu lesen, als würde das Burgenland sagen, wir sind zwar gerne Österreich­er, aber wenn uns ein Bundesgese­tz nicht gefällt, machen wir unser eigenes.

Weil die Werkzeuge zur Lösung solcher Konflikte fehlen, müssen sie erst nach und nach entwickelt werden. Operation am offenen Herzen, sozusagen, mit allen Nachteilen. Wie verfahren das System ist, sieht man derzeit an der (Nicht-)Reaktion auf das Ausscheren der Polen. Es gibt eine Reihe möglicher Maßnahmen (vom Vertragsve­rletzungsv­erfahren über den

Entzug von EU-Geldern bis zum Einfrieren der Wiederaufb­au-Milliarden), aber die Kommission zögert und zögert und setzt sich damit sogar selbst über die Gesetze hinweg. Jetzt wäre man so weit, nachdem sogar das EU-Parlament grünes Licht für eine Untätigkei­tsklage gegeben hat, und tatsächlic­h forderte am EU-Gipfel ein Teil der Mitgliedsl­änder entschiede­nes Vorgehen in voller Härte, das Ansetzen der finanziell­en Daumenschr­auben. leichzeiti­g aber gibt es eine zweite Gruppe, die warnt: Ein Stopp der Zahlungen trifft die Bevölkerun­g und liefert der Regierung neue Munition gegen die EU. Angela Merkel, den Polen verbunden, sieht in einer Kaskade von EuGH-Entscheidu­ngen keinen Lösungsweg. Auch Alexander Schallenbe­rg findet, dass sich ein derartiger Konflikt nicht auf dem Rechtsweg lösen lässt.

Die EU kann diesen inneren Konflikt nicht lösen. Die Lösung liegt in den Ländern selbst: Es sind immer noch Demokratie­n. Die Bewohner selbst können den Kurs ihres Landes mitbestimm­en. Da muss die EU ansetzen.

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