Ich bin dankbar für jede Minute . . .
Wenn die Regierung heute den Rahmen für die Sterbehilfe präsentiert, droht am Ende die Normalisierung des Suizids.
Manche Sätze werden nie vergessen. Wie jener einer alten Frau, die über Jahre ihren schwerkranken Mann pflegte und zu mir sagte: „Kindchen, Sie haben keine Ahnung, was es heißt, einen Menschen zu pflegen, der immer wieder sagt: Mutti, könnt’ ich nur sterben.“
Oder jener Satz eines Angeklagten, der seine Frau zum Sterben in die Schweiz begleitete und deshalb vor dem Richter stand. „Wir haben den 3. 12. als Sterbetermin festgesetzt“, sagte er. Es folgte ein Freispruch. Entschuldigender Notstand.
Ab 1. Jänner wird niemand mehr wegen Beihilfe zur Selbsttötung vor Gericht stehen, ab 1. Jänner ist sie erlaubt. Ob die Schutzmaßnahmen, die die Regierung heute präsentiert, für diese neue Etappe des Zusammenlebens und Sterbens reichen werden? Eine neue Etappe? Ja, künftig ist kein entschuldigender Notstand mehr nötig. Ob Normaloder Notzustand, es spielt keine Rolle mehr. Ein Zugewinn an Menschlichkeit? „Ja“würde jene Frau sagen, die das Leiden ihres Mannes erleben musste. „Nein“sagen jene, die in Palliativstationen auf Menschen verweisen, die nicht mehr leben wollten. Und die am Ende sagen: „Ich bin dankbar für jede Minute, die ihr mir ermöglicht habt.“
Schwarz-weiß gibt es da nicht. Was bleibt, ist eine Gratwanderung. Eine, die immer zum Absturz führt. Wie die Legalisierung des assistierten Suizids auf den ersten Blick ein Gewinn an Menschlichkeit ist, auf den zweiten ein Verlust. Daran wird das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe oder ein Sterbeverfügungsgesetz nichts ändern. Denn was steht am Ende? Da steht die Normalisierung des Suizids, tödliches Gift – um das Kind beim Namen zu nennen – als soziale Praxis. Selbsttötung als Entlastung pflegender Angehöriger. Am Ende steht ein Dammbruch in den Köpfen. Mit allen absehbaren Folgen – und neuen Klagen.