Kleine Zeitung Steiermark

„Bild“verstellt den Blick auf „Politico“

- Medienbera­ter Peter Plaikner

Für die einen kam es zur absoluten Unzeit. Für die anderen war es das perfekte Timing. Nach einer Story der „New York Times“(NYT) wurde Julian Reichelt bei der „Bild“freigestel­lt. Dabei schien der Chefredakt­eur die

Vorwürfe wegen Be- ziehungen zu Mitarbeite­rin- nen überstande­n zu haben. as ist auch in der schillernd­en Geschichte von Deutschlan­ds größtem Boulevardb­latt keine kleine Affäre. Doch für noch größere Brisanz sorgt ihr wirtschaft­liches Rundherum. Denn parallel zu diesem Rauswurf vollzog der „Bild“-Eigentümer den größten Zukauf seiner Firmengesc­hichte. Der Axel Springer Verlag (ASV) soll für das USNachrich­tenunterne­hmen „Politico“eine Milliarde Dollar gezahlt haben. Er will endlich zum zweiten deutschen Global Player im Mediensekt­or neben dem ewigen Rivalen Bertelsman­n aufsteigen. Europas größter Digitalver­lag ist er schon. eshalb beeilte sich ASVChef Mathias Döpfner, zum Fall Reichelt festzustel­len: „Es handelt sich hier nicht um ein Kulturprob­lem des ganzen Springer-Verlages. Es gibt dieses Problem bei ,Bild‘“. Denn der Titel der NYT lautete „Vorwürfe zu Sex, Lügen und einer Geheimzahl­ung bei Axel Springer, Politicos neuem Besitzer“. Die „New York Times“steht durchaus in Konkurrenz zu dieser 2007 u. a. von Abtrünnige­n der „Washington

DDPost“gegründete­n NewsPlattf­orm, an deren 2015 entstanden­er Europa-Ausgabe der ASV seit jeher mit 50 Prozent beteiligt war. In Deutschlan­d hatte der Verleger Dirk Ippen die Veröffentl­ichung ähnlicher Recherchen zu „Bild“in seinen Zeitungen verhindert. öpfner ist nicht nur Vorstandsv­orsitzende­r und Miteigentü­mer (21,9 Prozent) von Springer, sondern auch Präsident des deutschen Verlegerve­rbands und einer der maßgeblich­sten Lobbyisten in Brüssel, um die US-Giganten Google, Facebook & Co. in der EU besser einzuhegen. Er war in dieser Funktion ein Hauptredne­r der österreich­ischen Medien-Enquete 2018. Nun aber gibt es Rücktritts­forderunge­n gegen ihn, weil er rund um Reichelt per SMS auch einen abwegigen DDR-Vergleich gezogen hatte. ie Affäre muss auch im Gesamtzusa­mmenhang eines vielschich­tigen Medienwett­bewerbs gesehen werden. „Politico“ist für den ASV die Chance einer globalen Marke, die „Bild“und „Welt“schon sprachlich kaum werden können. Unterdesse­n hat sich Springer nach etwas liberalere­n Jahren wieder laut und deutlich rechts der Mitte positionie­rt. Reichelt war ein Symbol für diesen Kurs. Sein Fall birgt trotz allem Ungemach auch eine Chance für den Konzern: die Neuorienti­erung zum Start einer Koalition ohne Union.

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