„Wir Menschen finden Geiz gar nicht so geil“
Starökonom Paul Collier verzweifelt an Europas Versuchen, Flüchtlinge „retten“zu wollen, ärgert sich über unsere Entwicklungspolitik und sieht durch Corona eine Wende eingeleitet, aus der wir für andere Krisen lernen können.
Flüchtlingen erlauben, Arbeit anzunehmen. Die Menschen wollen sich ein Einkommen erarbeiten. Deshalb ist das Konzept des UNHCR, Flüchtlinge in Zeltstädten unterzubringen, infantilisierend. Nur eine kleine Minderheit der Flüchtlinge zieht überhaupt in diese Zeltlager ein. Die meisten wollen in echte Städte, wo sie einen Job bekommen können.
Diese Jobs gibt es aber oft nicht.
Genau. Ich habe in Jordanien gearbeitet, das Hunderttausende Menschen aus Syrien aufgenommen hat. Spannungen gab es nicht, weil es kulturelle Unterschiede gegeben hätte, sondern zu wenig Arbeitsplätze. Also haben wir der jordanischen Regierung vorgeschlagen, wir würden – im Gegenzug für ihre Aufnahme der Flüchtlinge – europäische und amerikanische Unternehmen animieren, in Jordanien zu investieren, sodass hier neue Jobs entstehen. Die Jordanier waren sofort dabei und sagten: Von 100 Arbeitsplätzen, die ihr hier bei uns schafft, werden 70 an Flüchtlinge gehen, 30 aber an die JorUnd das hat funktioniert und sich zum Modell für andere Länder entwickelt. Darin sehe ich die Zukunft unserer Flüchtlingshilfe. Die Frage, wie vielen Menschen wir in Europa Asyl geben, ist ein Nebenschauplatz.
Wie lässt sich so ein Modell finanzieren?
Wir haben schon jetzt ausreichend Instrumente, um Unternehmen zu fördern und ihr Risiko zu minimieren, wenn sie in Ländern wie Pakistan tätig werden. Aber es braucht klare Zielsetzungen für solche Projekte. Dazu kommt: Im Moment geben wir 135 Euro für jeden Asylsuchenden aus, der nach Europa kommt – und nur einen Euro für einen Asylsuchenden, der in eines der meist armen Nachbarschaftsländer geht. Das ist die verrückte Gleichung aus moralischem Anspruch und der Idee, die Leute nach Europa kommen zu lassen. Großbritannien hat sein Gesundheitssystem die letzten 30 Jahre mit Ärzten und Gesundheitspersonal aus Afrika aufrechterhalten – Menschen, die in ihren Herkunftsländern ausgebildet wurden. Wir Briten verfügen über 18 der 100 Topuniversitäten der Welt. Alle 18 haben wunderbare Medizin-Unis, bilden aber weniger als halb so viele Ärzte aus, wie wir brauchen. Ghana muss mehr als zwei Mal so viele Ärzte ausbilden, wie das Land benötigt – weil die Hälfte von ihnen nach Großbritannien aufbricht. Es sind wirklich beschämende Strategien, die wir hier verfolgen.
Mein ganzes Leben lang war ich damit beschäftigt, den armen Ländern zu helfen, ihren Rückstand zu uns aufzuholen. Aber: Sie holen nicht auf! Und durch die Coronakrise werden sie noch weiter zurückfallen. Die reichen Industriestaaten haben in der Pandemie etwa 20 Prozent ihres BIPs ausgegeben, um ihre Unternehmen zu retten – was sinnvoll war. In Afrika, wo es ohnehin schon viel, viel weniger Unternehmen und unternehmerisches Kapital gibt, konnten die Regierungen im Schnitt nur zwei Prozent ihres BIPs ausgeben, um Firmen zu retten. Und so brechen die ohnehin schon wenigen afrikanidanier.