PAUL COLLIER
schen Unternehmen Schritt für Schritt zusammen. Das ist die wahre Tragödie. Die Stärke des Westens liegt in seiner erfolgreichen Wirtschaft. Unsere Firmen zu unterstützen, damit sie in die armen Länder gehen und dort die Wirtschaft beleben, ist um ein Vielfaches billiger, als in Afghanistan Krieg zu führen.
Dennoch betonen Sie oft, dass auch außerhalb Afrikas nicht alle gut durch die Coronakrise gekommen sind.
Die Pandemie hat uns vor Augen geführt, dass wir tagtäglich mit radikaler Ungewissheit konfrontiert sind. Manche Staaten – und Unternehmen – haben die Fähigkeit, damit umzugehen, andere nicht. Dänemark konnte seine Corona-Maßnahmen kürzlich fast zur Gänze aufheben. Die Corona-Todesrate in Dänemark ist die niedrigste in ganz Europa. Und die Folgen der Pandemie-Maßnahmen haben die dänische Wirtschaft weniger hart getroffen als die anderer Länder. Was hat Premierministerin Mette Frederiksen, eine alleinerziehende Mutter, besser gemacht als andere?
Ihr ist es gelungen, wirklich mit den Leuten zu reden und zu vermitteln, dass es bei der Pandemie alle braucht, um einander zu schützen. Wenn man sich aber die USA zu Beginn der Pandemie ansieht, wo 40 Jahre lang eine überzogene Vorstellung von Individualismus, ja letztlich Egoismus gepredigt wurde, fällt auf, dass sich dort lange Schlagen vor den Waffengeschäften bildeten. Die Devise lautete nicht: „Beschütze deinen Nachbarn“, sondern sie lautete: „Erschieße deinen Nachbarn.“Und das ist keine besonders effektive Maßnahme, um mit dem Coronavirus umzugehen.
Ist das wirklich ein kulturelles Problem?
Das Beispiel zeigt die enorme Kluft in der Fähigkeit, als Gesellschaft für ein gemeinsames Ziel zusammenzukommen. Die USA sind in der Krise immer mehr auseinandergedriftet. Dahinter steht das, was auch ich selbst einst an den Wirtschaftsunis gelernt und gelehrt habe: die These, dass der Mensch ein auf Eigennutz ausgerichtetes Wesen sei, das ständig immer ist Ökonom an der Universität von Oxford. Er zählt zu den führenden Experten im Bereich Entwicklung und Migration. Eine neue Flüchtlingspolitik forderte er in seinen Büchern „Exodus“(2016) und „Gestrandet“(2017). Kürzlich erschien „Das Ende der Gier. Wie der Individualismus unsere Gesellschaft zerreißt“. SiedlerVerlag 2021. mehr haben will. Das gipfelte dann in den 80er-Jahren in einer „Geiz ist geil“-Mentalität. Dieser Ansatz hat sich in den großen Metropolen durchgesetzt, die dann die Menschen in den Regionen abgehängt haben, was letztlich zum Brexit führte. Doch die Ego-These ist wissenschaftlich nicht länger haltbar, das hat die Evolutionsbiologie bewiesen. Wir Menschen finden Geiz gar nicht so geil. Man denke an die Forschungen von Joseph Henrich, der wunderbar beschrieben hat, dass das Erfolgsgeheimnis der Menschheit über die Jahrtausende darin bestand, gemeinsam etwas zustande zu bringen und von einander zu lernen.
Ganz uneigennützig sind wir aber nicht.
Wir sind zwar keine Heiligen, aber wir sind in erster Linie soziale Wesen. Und das beginnt sich zum Glück jetzt auch an den Wirtschaftsuniversitäten niederzuschlagen. Rebecca Henderson beispielsweise, Topwissenschaftlerin an der Harvard Business School, schreibt darüber oder auch
Raghuram Rajan, Wirtschaftsprofessor an der Universität Chicago: Was wir wieder entwickeln müssen, ist gesellschaftlicher Zusammenhalt.
Wie stellt man einen Zusammenhalt her, wenn er nicht da ist?
Die erste Investmentbank, die in der Finanzkrise 2008 bankrottging, war Bear Stearns. Bei denen stand in der Eingangshalle auf der Wand: „We make nothing but money“– wir tun nichts, außer Geld zu verdienen. Und die Angestellten machten dann daraus: „We make nothing but money – for ourselves“– sie holten mehr für sich selbst heraus. Um als Unternehmen oder Gesellschaft erfolgreich zu sein, braucht es Ziele, die nicht einzig darin bestehen, mehr Geld zu verdienen. Menschen wollen ernst genommen werden und gestalten. Es braucht eine Führungskultur, wo nicht einer an der Spitze glaubt, er weiß alles besser. Man muss Erfahrungswissen, möglichst lokal, mit Expertenwissen verbinden. Wenn alle eingebunden sind, entwickelt sich Zusammenhalt.
Was bedeutet das für Probleme wie Migration oder Klimakrise?
Dass dieser Zugang auch für globale Probleme funktioniert, hat sich in der Pandemie gezeigt: Bei der Entwicklung der Impfstoffe sah man die Macht der Kooperation. Wir müssen wieder dort hingelangen. Die wenig wohlhabenden Regionen Großbritanniens müssen zum reichen London aufschließen – wie vielleicht auch einige österreichische Regionen zu Wien. Auch Ghana war auf diese Weise erfolgreich. In Afrika brauchen wir noch vier bis fünf solcher Erfolgsgeschichten, die es schaffen, aufzuholen – dann werden die anderen versuchen, das Erfolgsgeheimnis zu kopieren. Das ist es, was mich antreibt und was ich unbedingt noch erleben möchte.