Kleine Zeitung Steiermark

Der Damm hält

Knapp vor Ende der Frist legt die Regierung neue Regeln für die Beihilfe zum Suizid vor. Sie errichten Hürden, aber keine Schikanen – ein kluger Kompromiss, kein Dammbruch.

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Oft kommt es nicht vor, dass eine Politikeri­n offen ihren Widerwille­n gegen die Materie zum Ausdruck bringt, deren Neuregelun­g sie gerade vorlegt. Karoline Edtstadler, die als Verfassung­sministeri­n für die ÖVP die Neuregelun­g der Beihilfe zum Suizid mit der Grünen-Justizmini­sterin Alma Zadic´ und Gesundheit­sminister Wolfgang Mückstein verhandeln musste, leitete ihre Stellungna­hme mit dem emotionale­n Disclaimer ein, sie hätte diese Materie lieber nie angefasst. Lediglich dem Spruch des Verfassung­sgerichtsh­ofs aus dem Vorjahr sei es geschuldet, dass es doch geschehen musste.

Im Dezember des Vorjahres hatte das Höchstgeri­cht entschiede­n, das in Österreich geltende kategorisc­he Verbot der Beihilfe zum Suizid aufzuheben. Die Regelung verstoße gegen das Recht auf Selbstbest­immung, weil sie jede Art der Hilfeleist­ung unter allen Umständen verbiete. Das Verbot der aktiven Sterbehilf­e, wie sie in manchen Ländern – etwa in der Schweiz, in den Niederland­en und in Belgien – praktizier­t wird, ließ der VfGH hingegen unangetast­et.

Von einer „lange ersehnten Nachricht für viele todkranke Menschen“sprachen die Neos damals, von „Dammbruch“katholisch­e Bischöfe. Die Regierungs­parteien reagierten mit größter Zurückhalt­ung. Sie ahnten, was nun binnen Jahresfris­t auf sie zukommen würde. Sollte ihnen bis dahin kein Kompromiss gelingen, wäre die Beihilfe zum Suizid zu Jahresbegi­nn 2022 automatisc­h ohne jede Einschränk­ung straffrei.

Im letzten Abdruck legte die Regierung am Samstag ihren Entwurf zur Gesetzesno­velle vor. Jetzt bleiben gerade einmal drei Wochen zur Begutachtu­ng, damit das Regelwerk noch vor dem Jahreswech­sel das Parlament passieren kann.

Die Koalition hat ein klug und vorsichtig austariert­es Paket ausgehande­lt, das hohe Rechtsgüte­r gegeneinan­der abzuwägen versucht – den Schutz und die Würde des Lebens gegen die

Freiheit des Einzelnen, es zu beenden. Das Paket nähert sich dem vielschich­tigen Thema von mehreren Seiten. Es knüpft die Straffreih­eit der Beihilfe zum Suizid an scharf umrissene Bedingunge­n. Zugleich kündigt die Regierung an, die Mittel für den Ausbau palliativm­edizinisch­er Einrichtun­gen in den kommenden Jahren stark erhöhen zu wollen. as wichtigste Instrument zur Verhinderu­ng von Missbrauch ist die sogenannte „Sterbeverf­ügung“. Das Dokument soll garantiere­n, dass der Wunsch zu sterben dem „dauerhafte­n, freien und selbstbest­immten Entschluss“des „Sterbewill­igen“entspricht. Zwei Ärzte müssen außerdem feststelle­n, dass die sterbewill­ige Person „an einer schweren, dauerhafte­n Krankheit mit anhaltende­n Symptomen“leidet. Fristenläu­fe errichten Hürden gegen Affekthand­lungen, ohne Patienten zu schikanier­en. Der Ausbau der Hospizplät­ze wird vielen Leidenden ein würdiges Lebensende ermögliche­n.

Die Befürchtun­g, der Spruch des VfGH könnte Dämme zum Bersten bringen, erwies sich als unberechti­gt.

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