Sperber in der Unterwelt
Der neue Roman von Anne Weber behandelt die Liebe und wie man sie dem Tod entreißt.
Er heißt Sperber, ihr Name ist Luchs. Er hat sich an den französischen Nordatlantik zurückgezogen und so ziemlich alles, was man verlieren kann, verloren. „Arbeit, Haus, Frau, Kind, Sparbücher, Haus.“Sie – die ihm völlig Unbekannte –, taucht plötzlich wie aus dem Nichts aus, küsst Sperber auf den Mund, dreht sich wortlos um – und verschwindet wieder.
Aus dieser fast märchenhaften Grundkonstellation strickt Anne Weber, 2020 für ihren Roman „Annette, ein Heldinnenepos“mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet, eine betörende und verstörende
Geschichte, die gleichzeitig schwebt und dennoch tief geerdet ist. Weber verankert das Unfassbare mit großer Selbstverständlichkeit in der Realität und weitet dadurch den Radius der sogenannten Wirklichkeit.
Ihr Ton zeichnet sich durch unbemühte Ernsthaftigkeit aus, dennoch ist er von kraftvoller Schwerelosigkeit – dies kein Widerspruch! Verhandelt wird die Liebe in all ihren Schönheiten, Unwägbarkeiten und Grausamkeiten. Sie kann nähren und zerstören, wie der Atlantik vor Sperbers Tür.
Dieser Sperber, aus der Fassung durch Kuss und Berührung, begibt sich auf die Suche nach der Frau, findet sie, eine Beziehung beginnt, auch sie ohne Fassung. Doch dann verliert dieser Mann, dem bereits alles abhandengekommen ist, auch diese Frau. An den Tod! Und aus Sperber wird Orpheus, aus Luchs Eurydike. Dringende Empfehlung, in diese Leseunterwelt einzutauchen!
Tal der Herrlichkeiten. Matthes & Seitz Berlin. 219 Seiten, 20,90 Euro.