Von Freiräumen und gesetzten Grenzen
Ein Pfarrer feierte bei einer TV-Übertragung eine Messe im Schlauchboot. Kritiker monieren, dass liturgische Vorgaben nicht eingehalten wurden. Doch welche Vorgaben gibt es hier? Versuch einer Einordnung.
Das andere ist die Ebene der Performance, im kirchlichen Insidersprech „Ars celebrandi – Kunst des Feierns“genannt. Dass Pfarrer Josef Reisenhofer die „Kunst des Feierns“sehr gut beherrscht und damit bei vielen Menschen, die seinen Stil mögen, auf große positive Resonanz stößt, ist nicht das Thema des Konflikts, trotz vieler öffentlicher Äußerungen. Im Gegenteil: Die „Ars celebrandi“ist in der liturgischen Fachdiskussion ein Dauerbrenner, und
gerade die
Pfarre Hartberg kann hier mit sehr positiven Beispielen aufwarten. Eine gute Performance ist nicht nur wünschenswert, sondern ein zentrales Erfordernis, sollen Menschen mit all ihren Sinnen und intellektuell im Gottesdienst so angesprochen werden, dass sich in der Feier für sie ein Stück des Himmels öffnet und Gottesbegegnung stattfinden kann.
Der Kern des Problems liegt bei anderen Fragen: Was ist Liturgie, welche Botschaften muss und kann sie vermitteln, welche Inhalte sind vorgegeben oder tagesaktuell variabel, wie stehen „gesamtkirchliche und teilkirchliche Liturgie“(Philipp Harnoncourt) zueinander? Wie viel Ordnung braucht Liturgie, wie viel Freiheit muss sie haben?
haben unterschiedliche Zugänge zur liturgischen Ordnung, von der genauen Regelung (zum Beispiel katholische, orthodoxe und altorientalische Kirchen) bis hin zur sprichwörtlichen grenzenlosen Freiheit über den Wolken (in sehr unterschiedlichen Dimensionen evangelische und freikirchliche Gemeinden).
Die aktuelle katholische Liturgie versucht in ihrer Idealkonzeption die (oft nur scheinbaren) Gegensätze von Ordnung und Freiheit im Gleichgewicht zu halten. Vorgegeben und prinzipiell nicht leicht veränderbar ist etwa die Leseordnung, verschiedene Gebete des Priesters, vor allem das Herzstück der Messe, das Eucharistische Hochgebet. Für Gesang und Musik hingegen gibt es einen weiten Rahmen, der wesentliche inhaltliche Ziele definiert, aber in der Umsetzung
Freiräume für die Möglichkeiten der Ortsgemeinden offenlässt. Tagesaktuell ist das Fürbittgebet zu gestalten, für das nur grundlegende Gebetsanliegen definiert sind. Ein weites Feld ist die gemeindegerechte Predigt, die oft als problematisch wahrgenommen wird.
der liturgischen Inhalte ging es bei der Messe am Badesee keineswegs um „Kleinigkeiten“, sondern um ein erstaunliches Fehlverhalten der Verantwortlichen in Hinblick auf Festgelegtes und nicht Verhandelbares in der liturgischen Grundordnung. Eine Analyse der beanstandeten Feier zeigt, dass so gut wie nichts mit zentralen Vorgaben für die zu verwendenden Texte und Gesänge in einer katholischen Messe zusammenstimmte. Ob Hochgebet oder STS und Beatles anstelle liturgischer Gesänge (das ist keine Frage des musikalischen Stils, sondern der liturgisch unpassenden Texte) – hier erwies sich alles als „legitimer Freiraum“. Die gute Resonanz sagt dennoch nichts über Richtigkeit, Sinnhaftigkeit und Angemessenheit aus. Gibt es in diesen Fällen keine Kraft zur Selbstkorrektur, werden eines Tages römische Behörden einschreiten. Wer will das? Dass der geregelte und wiedererkennbare Gottesdienst der weltweit agierenden katholischen Kirche essenzieller Bestandteil ihrer „Corporate Identity“und Botschaft ist, liegt auf der Hand.
Dass offizielle liturgische Texte „unverständlich“oder gar Worthülsen seien, wird öfters ohne Beweis behauptet. Das so empfundene Problem liegt wohl eher in einer rhetorisch defizitären Präsentationsform und nicht an den Texten selbst. Liturgiesprache bewegt sich freilich nicht auf der Sprachebene von Talkshows. Sie hat dem Umgang mit dem Heiligen angemessen zu sein, in Bibelnähe, poetischer Tiefe und ästhetischer Schönheit, wie vieles aus der Gebetstradition der christlichen Kirchen zeigt. Das verlangt freilich Vermittlungskompetenz bei allen, die solche Texte vortragen. Selbstgestricktes an unpassender Stelle zu präsentieren, verweigert sich diesem Anliegen. Das Vorurteil, dass Texte des Messbuches heutigen Menschen nicht zumutbar seien, widerlegen Tausende Priester jeden Sonntag mit guter Rhetorik, Predigt und Performance – weltweit. Die Mühe darum lohnt sich, denn wenn die theologische, spirituelle und ästhetische Fülle des Glaubens liturgisch nicht mehr feierbar sein sollte, dann geht Kirche wirklich baden.
* Franz Karl Praßl ist Theologe, Kirchenmusiker und Komponist.