Gottes Zuwendung liegt für alle bereit
Susanne Heine,
Institut für Religionspsychologie Uni Wien
An die Hebräer“gibt Nüsse zu knacken, ein Traktat mit Briefschluss, gerichtet an Christ*innen, die sich davor zum Judentum bekannt hatten. Sie leben im römischen Reich mit den vielen Göttern, wegen ihres Ein-Gott-Glaubens misstrauisch beäugt, wenn nicht verfolgt. Manche sehen sich von Gott verlassen, haben kein Vertrauen mehr. Aber sie verstehen, wenn in dem Brief dauernd von Priestern und Opfern die Rede ist; sie kennen das aus ihrer jüdischen Bibel und der römischen Opferpraxis, die sie umgibt. Aber wer das heute liest, kann sich fragen: Was will der Autor denn sagen? Und was soll das für mich bedeuten?
Um das zu entdecken, braucht es eine Reise ins Bergwerk des Textes. Dort lassen sich die verschiedenen Gesteinsadern genauer betrachten: Zwar spricht der Brief von Priestern, ihren regelmäßigen Schlachtopfern und dem Blut, das die Menschen von Ihrer Schuld reinigt. Jedoch will er damit genau das Gegenteil sagen: Diese Opfer sind passé! Niemand mehr muss Opfer bringen, um Gott gnädig zu stimmen, denn: Gott ist barmherzig und vergibt Schuld denen, die ihm und Jesus Christus, seinem Offenbarer vertrauen: „Wo also Schuld vergeben ist, da gibt es kein Opfer für die Sünden mehr (10,18).“Einfach und klar, aber vielleicht nicht für Menschen, die von Opferpraxis und -sprache geprägt sind.
Daher begibt sich der Brief in die Vorstellungs- und Sprachwelt des Opferkultes: Jesus Christus ist der Hohepriester, der aber nichts opfert, sondern sich selbst unwiederholbar dargebracht hat und nun zur Rechten Gottes sitzt. Der dort allezeit lebt, um für uns einzutreten (7,25). Um diesen Hohepriester als einmalig hervorzuheben, dient die geheimnisvolle Gestalt des ewigen Priesterkönigs Melchisedek (Ps 110,4; Gen 14,18). Dieser Priester verlangt keine Opfergaben, um Menschen den Weg zu einem barmherzigen Gott zu ebnen. Denn Gottes liebende Zuwendung liegt immer bereit für alle, die sie vertrauend ergreifen. Dafür danken und anderen Gutes tun (Hebr 13,15) – solche „Opfer“hat Gott gern.