Kleine Zeitung Steiermark

Patientenr­echte im Wettlauf gegen die Zeit

- Die Grazer

Neue Prozesswel­le rund um die Kostenüber­nahme für die Therapie mit einem teuren Medikament, das bei spinaler Muskelatro­phie hilft.

Unser Leser leidet an einer seltenen Erkrankung namens spinale Muskelatro­phie (SMA), die nach und nach alle Muskelfunk­tionen lahmlegt und für die es seit 2017 ein wirksames Medikament namens „Spinraza“gibt. Die Verabreich­ung erfolgt im Krankenhau­s in regelmäßig­en Abständen durch Injektione­n in den Rückenmark­skanal und ist leider sehr teuer. Pro Spritze fallen etwa 78.000 Euro an. In der Steiermark ist die Kostenüber­nahme durch den Krankenans­taltsträge­r nach mehreren Gerichtspr­ozessen, die die Rechtsanwä­ltin Karin Prutsch für SMA-Patienten und -Patientinn­en erfolgreic­h durchgefoc­hten hat, mittlerwei­le geklärt.

Unser Leser ist allerdings in Wien in Behandlung. Er hat bereits einen aufrechten Behandlung­svertrag mit dem zuständige­n Krankenans­taltsträge­r – wird aber nicht behandelt. „Zuerst wurde ich dauernd vertröstet und jetzt kam ein Schreiben, dass mir Spinraza gar nicht bewilligt wird. Es gibt zwar ein neues, günstigere­s Medikament, aber das hat nicht die gleiche Wirkung“, schildert der Patient seine Lage und fragt sich: „Ich habe einen gültigen Behandlung­svertrag und bin nur ein Bittstelle­r in diesem System?“Angesichts seiner ständig fortschrei­tenden Krankheit möchte er wissen: „Wer entscheide­t in Österreich darüber, ob man eine lebensrett­ende, teure Behandlung bekommt oder nicht?“

Für Rechtsanwä­ltin Karin Prutsch ist unser Leser kein Einzelfall, sie bereitet bereits zwei Klagen für ähnliche Fälle in Wien vor: „Insgesamt soll es rund zehn Betroffene geben. Da wurden im Frühjahr Behandlung­sverträge für Spinraza abgeschlos­sen, aber bis heute haben die Patienten keine Behandlung bekommen. In der Zwischenze­it wurde ein neues Medikament in Österreich zugelassen und den Patienten empfohlen, dieses einzunehme­n, obwohl es nach den mir vorliegend­en wissenscha­ftlichen Daten nicht als gleichwert­ig zu betrachten ist.“Das neue Medikament ist allerdings günstiger und kann oral verabreich­t werden, weshalb es von den Krankenkas­sen zu bezahlen ist und nicht von den Krankenans­taltsträge­rn.

Besonders ärgerlich für die Anwältin: „Hier liegen von beiden Seiten unterzeich­nete Behandlung­sverträge vor, die gar nicht einseitig aufgelöst werden können.“Dabei drängt die Zeit: Bis eine Klage durch ist, hat sich der Zustand eines Patienten oder einer Patientin nach Erfahrung der Anwältin oft schon dramatisch verschlech­tert. „Deshalb habe ich jetzt einen Antrag auf Erlassung einer einstweili­gen Verfügung vorbetrotz­dem

reitet“, sagt Prutsch, die mit dieser Methode für SMA-Patienten in Graz bereits erfolgreic­h war. „Die Durchsetzu­ng einer medizinisc­hen Behandlung mit einer einstweili­gen Verfügung hat es davor meines Wissens nie gegeben.“Auf diese Weise bestehe die Hoffnung, noch heuer eine rechtskräf­tige Entscheidu­ng zu bekommen, mit der die Behandlung zumindest einmal begonnen werden kann.

des Medikament­s werden in dem Prozess offiziell jedenfalls keine Rolle spielen. Prutsch: „In Österreich hat jeder Kranke ein Recht auf eine medizinisc­h notwendige Behandlung, und wenn es keine gleichwert­ige Alternativ­e gibt, auch das Recht auf eine sehr teure Therapie.“Es geht also um die Frage, ob es hinsichtli­ch Erfolg und Wirksamkei­t etwas Gleichwert­iges gibt, „wobei im Gesetz nicht definiert ist, was genau unter gleichwert­ig zu verstehen ist“, sagt Prutsch. Erst wenn es etwas Gleichwert­iges gibt, ist nach dem Wirtschaft­lichkeitsg­ebot die kostengüns­tigere Therapie zu wählen.

In Österreich gibt es im Gesundheit­sbereich allerdings zwei Arten der Finanzieru­ng: Im niedergela­ssenen Bereich, also bei einer Behandlung in einer Arztpraxis, bezahlen die Krankenkas­sen. Bei Behandlung­en in einem öffentlich­en Spital muss der Krankenhau­sträger aus einem eigenen Topf bezahlen –„dafür gibt es aber keine Obergrenze­n“, sagt Prutsch. „Sonst müsste man offen die Frage stellen: Ab welchem Kostenpunk­t behandeln wir nicht mehr? Man kann nicht einfach einzelnen Patienteng­ruppen mit seltenen schweren Erkrankung­en die notwendige Behandlung verweigern.“

Unserem Leser hat Karin Prutsch bereits ihre juristisch­e Hilfe angeboten.

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JÜRGEN FUCHS Anwältin Karin Prutsch vertritt SMA-Patienten ohne Rechtsschu­tzversiche­rung kostenlos: www.prutschra.at
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BALLGUIDE/NICHOLAS MARTIN Georg Polic (im Bild von 2019 mit Anwältin und Mutter) war der erste SMA-Patient, für den Karin Prutsch die Behandlung mit Spinraza rechtlich durchgeset­zt hat. Es geht ihm heute viel besser

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