„Ich habe aus dem Minus ein Plus gemacht“
DJ Ötzi alias Gerry Friedle liefert in seiner Autobiografie und auf seiner neuen Platte tiefe Einblicke in sein Leben, das von vielen Hochs und Tiefs geprägt ist.
Die Stimmungs- und AprèsSki-Kanone aus dem Tiroler Ötztal ist hinter der strickbemützten Fassade ein reflektierter und nachdenklicher Mann. Gerry Friedle, wie DJ Ötzi bürgerlich heißt, feiert mit seinen Hits wie „Anton aus Tirol“oder „Ein Stern (... der deinen Namen trägt)“nicht nur seit über 20 Jahren große Erfolge, er blickt auch auf eine harte Jugend zurück. Aufgewachsen bei Pflegeeltern und später bei der Großmutter, ein kränklicher Außenseiter, später depressiv und zeitweise ohne Dach überm Kopf – doch Gerry hat sich durchgebissen. Auf seinem neuen Album „Sei du selbst“und in der gerade erschienenen Autobiografie „Lebensgefühl“erzählt der 50-Jährige von seinen vielen Hochs und Tiefs.
Auf Ihrem Album „Sei du selbst“wie auch in der Biografie „Lebensgefühl“geben Sie sehr offen und schonungslos über Ihren Werdegang Auskunft. Warum war es Ihnen wichtig, Ihre Geschichte aufzuschreiben?
GERRY FRIEDLE: Ich wollte meine Vergangenheit in aller Klarheit auf den Tisch legen, damit ich endlich mit ihr abschließen kann. Ich will ja auch nicht ewig zurückschauen und das Geschehene immer weiter mitschleppen. Also habe ich die Vergangenheit in Songtexten und in meiner Autobiografie aufgearbeitet, was zum Teil sehr emotional war. Mir war wichtig, kein WischiwaschiBuch zu schreiben, sondern die Dinge wirklich so zu erzählen, wie sie passiert sind. Ich denke, ich habe jetzt alles reflektiert und das Beste aus meinen Erfahrungen mitgenommen in mein jetziges Leben.
Ihr Leben war kein leichtes. Wie schwierig war das Aufschreiben dieser Erinnerungen?
Es war nicht einfach. Ich empfand es als unangenehm und quälend, dorthin zurückzugehen und mich in diese schmerzhaften Situationen noch einmal reinversetzen zu müssen, obwohl ich sie ja eigentlich längst hinter mir gelassen habe.
Nein, bestimmt nicht. Ich wäre nie der, der ich jetzt bin, wenn ich das nicht erlebt hätte. Deshalb kann ich heute nur sagen: Danke für die Zeit. Aus heutiger Sicht haben mich die Erfahrungen mehr gestärkt als geschwächt. Ich habe aus dem Minus ein Plus gemacht.
Sie sagen über „Sei du selbst“, das Titelstück des neuen Albums,
Viele haben in ihrer Jugend erlebt, dass sie nicht gemocht wurden. Dass sie beim Fußball immer als Letzter gewählt wurden. Oder dass ihnen gesagt wurde, sie seien pummelig. Aber jeder Mensch hat Gefühle und einen Wert. Deshalb ist es furchtbar und tut so verdammt weh, so behandelt zu werden. Diese Emotionen wollte ich beschreiben.
Kennen
Sie das
Gefühl,
ge
Ja, sehr gut sogar. Das war in meinem Leben definitiv ein Thema. Ich weiß noch, wie ich in der Klasse meinen ersten epileptischen Anfall hatte und der Lehrer, der auch der Schuldirektor war, das gar nicht wahrgenommen hat. Er meinte, ich würde nur den Klassenkasperl spielen und solle mich nicht so anstellen. Aus heutiger Sicht betrachtet ist das unglaublich krass. Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch Respekt verdient
niedergeschrieben und gut ist. Ich bin mit niemandem im Groll.
Sie singen auf dem Album auch „Fang nie an aufzuhören, dich zu lieben“. Wie wichtig sind Selbstachtung und Selbstliebe?
Selbstliebe ist der Grundsatz von allem. Viele Leute meinen, sie müssten hier und da helfen. Ich sage: Helft euch doch erst einmal selbst. Wer anderen helfen will, muss zuerst bei sich selbst nachschauen und sich selbst annehmen. Nur wenn du dich liebst, kannst du Liebe weitergeben. Wenn du dich nicht liebst, so wie ich lange Zeit, dann kannst du auch niemand anderen lieben.
Sie sind ein reflektierter Mensch, der künstlerisch von Leichtigkeit und Partystimmung lebt. Wie sind Sie durch die letzten anderthalb Jahre gekommen?
Die ersten Tage hatte ich Angst, die Welt geht unter. Ich bin ein lösungsorientierter Mensch, aber ich konnte das Außen nicht beeinflussen. Also begann ich damit, an Lösungen für die Zeit danach zu arbeiten. Diese Fähigkeit kannte ich noch von meiner Kindheit. Ich war oft krank, als ich klein war, und dann freute ich mich immer schon darauf, dass nach dem Tal wieder ein Berg kommt oder zumindest ein Hügel.
„Nach all den Jahren“ist ein Lied über das problematische Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrem verstorbenen Vater.
Ich lege da wirklich die Karten auf den Tisch, aber ich tue mir schwer, über meinen Vater und mich zu sprechen. Es geht in dem Lied nicht um Vergebung, sondern um Versöhnung. Denn ich will nicht im Unfrieden mit meinen Lieben oder überhaupt mit anderen Menschen auseinandergehen.