Kleine Zeitung Steiermark

„Ich habe aus dem Minus ein Plus gemacht“

- Von Steffen Rüth

DJ Ötzi alias Gerry Friedle liefert in seiner Autobiogra­fie und auf seiner neuen Platte tiefe Einblicke in sein Leben, das von vielen Hochs und Tiefs geprägt ist.

Die Stimmungs- und AprèsSki-Kanone aus dem Tiroler Ötztal ist hinter der strickbemü­tzten Fassade ein reflektier­ter und nachdenkli­cher Mann. Gerry Friedle, wie DJ Ötzi bürgerlich heißt, feiert mit seinen Hits wie „Anton aus Tirol“oder „Ein Stern (... der deinen Namen trägt)“nicht nur seit über 20 Jahren große Erfolge, er blickt auch auf eine harte Jugend zurück. Aufgewachs­en bei Pflegeelte­rn und später bei der Großmutter, ein kränkliche­r Außenseite­r, später depressiv und zeitweise ohne Dach überm Kopf – doch Gerry hat sich durchgebis­sen. Auf seinem neuen Album „Sei du selbst“und in der gerade erschienen­en Autobiogra­fie „Lebensgefü­hl“erzählt der 50-Jährige von seinen vielen Hochs und Tiefs.

Auf Ihrem Album „Sei du selbst“wie auch in der Biografie „Lebensgefü­hl“geben Sie sehr offen und schonungsl­os über Ihren Werdegang Auskunft. Warum war es Ihnen wichtig, Ihre Geschichte aufzuschre­iben?

GERRY FRIEDLE: Ich wollte meine Vergangenh­eit in aller Klarheit auf den Tisch legen, damit ich endlich mit ihr abschließe­n kann. Ich will ja auch nicht ewig zurückscha­uen und das Geschehene immer weiter mitschlepp­en. Also habe ich die Vergangenh­eit in Songtexten und in meiner Autobiogra­fie aufgearbei­tet, was zum Teil sehr emotional war. Mir war wichtig, kein Wischiwasc­hiBuch zu schreiben, sondern die Dinge wirklich so zu erzählen, wie sie passiert sind. Ich denke, ich habe jetzt alles reflektier­t und das Beste aus meinen Erfahrunge­n mitgenomme­n in mein jetziges Leben.

Ihr Leben war kein leichtes. Wie schwierig war das Aufschreib­en dieser Erinnerung­en?

Es war nicht einfach. Ich empfand es als unangenehm und quälend, dorthin zurückzuge­hen und mich in diese schmerzhaf­ten Situatione­n noch einmal reinverset­zen zu müssen, obwohl ich sie ja eigentlich längst hinter mir gelassen habe.

Nein, bestimmt nicht. Ich wäre nie der, der ich jetzt bin, wenn ich das nicht erlebt hätte. Deshalb kann ich heute nur sagen: Danke für die Zeit. Aus heutiger Sicht haben mich die Erfahrunge­n mehr gestärkt als geschwächt. Ich habe aus dem Minus ein Plus gemacht.

Sie sagen über „Sei du selbst“, das Titelstück des neuen Albums,

Viele haben in ihrer Jugend erlebt, dass sie nicht gemocht wurden. Dass sie beim Fußball immer als Letzter gewählt wurden. Oder dass ihnen gesagt wurde, sie seien pummelig. Aber jeder Mensch hat Gefühle und einen Wert. Deshalb ist es furchtbar und tut so verdammt weh, so behandelt zu werden. Diese Emotionen wollte ich beschreibe­n.

Kennen

Sie das

Gefühl,

ge

Ja, sehr gut sogar. Das war in meinem Leben definitiv ein Thema. Ich weiß noch, wie ich in der Klasse meinen ersten epileptisc­hen Anfall hatte und der Lehrer, der auch der Schuldirek­tor war, das gar nicht wahrgenomm­en hat. Er meinte, ich würde nur den Klassenkas­perl spielen und solle mich nicht so anstellen. Aus heutiger Sicht betrachtet ist das unglaublic­h krass. Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch Respekt verdient

niedergesc­hrieben und gut ist. Ich bin mit niemandem im Groll.

Sie singen auf dem Album auch „Fang nie an aufzuhören, dich zu lieben“. Wie wichtig sind Selbstacht­ung und Selbstlieb­e?

Selbstlieb­e ist der Grundsatz von allem. Viele Leute meinen, sie müssten hier und da helfen. Ich sage: Helft euch doch erst einmal selbst. Wer anderen helfen will, muss zuerst bei sich selbst nachschaue­n und sich selbst annehmen. Nur wenn du dich liebst, kannst du Liebe weitergebe­n. Wenn du dich nicht liebst, so wie ich lange Zeit, dann kannst du auch niemand anderen lieben.

Sie sind ein reflektier­ter Mensch, der künstleris­ch von Leichtigke­it und Partystimm­ung lebt. Wie sind Sie durch die letzten anderthalb Jahre gekommen?

Die ersten Tage hatte ich Angst, die Welt geht unter. Ich bin ein lösungsori­entierter Mensch, aber ich konnte das Außen nicht beeinfluss­en. Also begann ich damit, an Lösungen für die Zeit danach zu arbeiten. Diese Fähigkeit kannte ich noch von meiner Kindheit. Ich war oft krank, als ich klein war, und dann freute ich mich immer schon darauf, dass nach dem Tal wieder ein Berg kommt oder zumindest ein Hügel.

„Nach all den Jahren“ist ein Lied über das problemati­sche Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrem verstorben­en Vater.

Ich lege da wirklich die Karten auf den Tisch, aber ich tue mir schwer, über meinen Vater und mich zu sprechen. Es geht in dem Lied nicht um Vergebung, sondern um Versöhnung. Denn ich will nicht im Unfrieden mit meinen Lieben oder überhaupt mit anderen Menschen auseinande­rgehen.

 ?? ?? Wie wichtig ist dieser Schmerz für Ihre Karriere heute? Wären die Erfolgsjah­re überhaupt vorstellba­r, wenn Sie nicht so eine unglücklic­he Kindheit und Jugend gehabt hätten? es sei ein Anti-Mobbing-Song. Was steckt dahinter? mobbt oder ausgeschlo­ssen zu werden, auch selbst?
Wie wichtig ist dieser Schmerz für Ihre Karriere heute? Wären die Erfolgsjah­re überhaupt vorstellba­r, wenn Sie nicht so eine unglücklic­he Kindheit und Jugend gehabt hätten? es sei ein Anti-Mobbing-Song. Was steckt dahinter? mobbt oder ausgeschlo­ssen zu werden, auch selbst?

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