Nach dem Terror
Vor einem Jahr erschoss ein Terrorist in Wien vier Menschen. Das Attentat hat vieles verändert, aber die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft nicht erschüttert.
Der 2. November markiert für alle, die selbst oder deren Angehörige in Wien leben, eine Zäsur. Jeder oder jede von ihnen wird sich heute daran erinnern, wo er oder sie vor einem Jahr war, als der Terror in der Wiener Innenstadt ankam. Tausende waren in der Stadt unterwegs, ein letztes Mal in Lokalen, bevor diese im zweiten Lockdown für Monate geschlossen blieben. Andere saßen verschreckt vor dem Fernseher oder standen am Fenster, während Polizeihubschrauber über die Häuser kreisten. Unzählige griffen zum Handy, um sich zu versichern, dass die Liebsten in Sicherheit waren.
Am 2. November vor einem Jahr tötete ein Terrorist vier Menschen und verletzte 23 weitere. Sein fanatisches Morden dauerte neun Minuten, dann wurde er von der Polizei erschossen. Was bleibt ein Jahr nach der Tat?
Zunächst war da ein schockierendes Bild von Systemversagen. Der Attentäter war polizeilich bekannt, sogar schon einmal inhaftiert, weil er sich dem IS anschließen wollte. Er versuchte, im Internet Waffen und in der Slowakei Munition zu kaufen, und beherbergte international gesuchte Jihadisten – alles unter den Augen von AntiTerror-Ermittlern. Doch das Risiko wurde falsch eingeschätzt und Informationen zwischen verschiedenen Dienststellen nur bruchstückhaft weitergegeben – wegen schlechter Strukturen, veralteter Datenplattformen oder persönlicher Vorbehalte.
Eine Untersuchungskommission machte das schonungslos öffentlich. Und es wurde nachgebessert: Das Attentat vom 2. November dürfte dazu beigetragen haben, dass die überfällige Reform des Verfassungsschutzes nicht nur zügig, sondern vor allem unter breiter Einbindung des Parlaments beschlossen wurde. Im neu geschaffenen DNS wurde der zukünftige Verbesserungsbedarf schon in der Konzeption mitgeplant, in Form einer fix etablierten Kontrollkommission. Eine wichtige Konsequenz sind auch die neune Anti-Terror-Gesetze, die bei terroristischen Gefährdern Fallkonferenzen vorschreiben. Dort tauschen sich alle, die mit ihnen zu tun haben, systematisch aus. Denn Informationen kommen nicht nur vom sicherheitspolizeilichen Apparat, sondern oft auch von Sozialarbeiterinnen, Lehrern, Eltern.
Es bleibt auch ein neuer Entschädigungstopf für Terroropfer – allerdings ohne die Einsicht, dass Anerkennung genauso wichtig sein kann wie Geld. Der 2. November hat gezeigt, dass das offizielle Österreich durchaus aus Fehlern lernen kann – allerdings immer noch davor zurückschreckt, sie als solche zu benennen. ichtig ist auch, was der 2. November nicht verändert hat: den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Das Attentat zeigt ihre Verletzlichkeit – aber auch ihre Widerstandskraft. Es gab weder islamistische Nachahmungstäter noch eine signifikant höhere Gewalt gegen Muslime. Terror lebt nie von der Tat, sondern von der Wirkung. Und die war in Österreich gering.
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