Minenfeld der Widersprüche
Die kommunistisch geführte Grazer Stadtregierung hat sich verdient, unter scharfer Beobachtung zu bleiben. Und sie akzeptiert hoffentlich die Realität als Korrektiv.
Die gestern erfolgte Wahl der Kommunistin Elke Kahr zur Grazer Bürgermeisterin folgte untadelig den Regeln der Demokratie: Die KPÖ wurde von den Wählerinnen und Wählern zur stärksten Partei erkoren. Und Kahr konnte mit den Grünen und der nur mehr in Spurenelementen vorhandenen SPÖ eine Koalition zimmern, die sowohl im Stadtsenat als auch im Gemeinderat über eine Mehrheit verfügt.
Trotzdem erfüllt diese Bestellung viele Bürgerinnen und Bürger mit Unbehagen. Und das nicht nur wegen der vielen Millionen Toten aus der dunklen Ära kommunistischer Gewaltherrschaft, die als Denkmal der Schande für immer das Etikett „kommunistisch“beflecken. Sondern es hat auch Kahr selbst einiges dazu getan, die Vorbehalte gegen ihre Partei und ihre Person zu schüren.
So hält sie den Kapitalismus für eine zu beseitigende Wirtschaftsordnung, die den Menschen Nachteile bringe. Wenn man Kahrs Aufrufe zur „Revolution gegen das System“hört, dann ist das plötzlich nicht mehr die nette Dame von nebenan, die sich freundlich und bescheiden um Bedürftige kümmert. Sondern es ist ein Spiel mit dem Feuer – speziell in einer Zeit, in der sich Teile der Bevölkerung sowieso vom wissenschaftsbasierten Wohlstandskonsens der Nachkriegszeit verabschieden, um sich im bunten Tiergarten des Internets irgendwelchen Obskurantenzirkeln anzuschließen.
Im Grazer Rathaus fielen die Kommunisten bisher vor allem durch Zaudern, Zögern und durchs Dagegensein auf. Kahr muss jetzt rasch zu einer neuen Rolle finden, denn sonst drohen – ganz im Sinne der Zerschlagung des Kapitalismus – dramatische Wohlstandsverluste für die zweitgrößte österreichische Stadt. Nicht zufällig war es gestern die Industriellenvereinigung, die sich nach Kahrs Amtseinführung als erste zu Wort meldete: Industrie und Forschung seien die Basis für all jene Umwelt- und Sozialpläne, die die neue Rot-Grün-Rot-Koalition in ihr Pflichtenheft geschrieben hat.
Natürlich kann man semantisch über diesen Hinweis hinwegturnen, indem man etwa sagt, „mehr Wohlstand“bedeute heute mehr Grün, mehr Stille, weniger Betriebsamkeit. Die grüne Vizebürgermeisterin Judith Schwentner meinte gestern, in Graz sei zu viel gebaut worden, nun sei es wichtig, „zur Ruhe zu kommen“.
Ruhe als erste linke Bürgerpflicht – das hört sich für viele goldrichtig an. Aber nur, so lange das Geld weiter pünktlich auf dem Konto ist. Und genau dort, im Minenfeld der Widersprüche, beginnt Politik. Etwa auch anhand der Frage, wie man viele Tausend neue Bewohner bezahlbar unterbringt, wenn man nicht mehr bauen will. rste Konfrontationen mit der Wirklichkeit gab es bereits. So scheiterte der KPÖ-Plan, die Graz-Holding wieder in die Stadtverwaltung einzugliedern, weil das ein Finanzdesaster geworden wäre. Die neue Regierung wird gut daran tun, weiter irrtumsfähig zu bleiben. Darin liegt bis auf Weiteres die Hoffnung für Graz.
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