Kleine Zeitung Steiermark

Die Wissenscha­ft und ihre Feinde

Warum der Rektor der Universitä­t Klagenfurt, Oliver Vitouch, mit seiner Kritik an studierend­en Impfverwei­gerern recht hat.

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Die Bemerkung des Rektors der Universitä­t Klagenfurt, dass sich impf- und wissenscha­ftsskeptis­che Studenten überlegen sollten, ob eine Universitä­t der richtige Ort für sie sei, hat für Aufregung und Empörung gesorgt. Das Ausspreche­n einer Selbstvers­tändlichke­it wird als Provokatio­n empfunden. Dass Universitä­ten und alle, die in unterschie­dlicher Weise mit ihnen verbunden sind, den methodisch­en Prinzipien der Rationalit­ät verpflicht­et sind, sollte sich eigentlich schon herumgespr­ochen haben. Das Unbehagen, das dennoch geäußert wird, lässt nicht nur tief blicken, sondern verweist auch darauf, dass das Selbstvers­tändnis der Universitä­ten als wissenscha­ftliche Einrichtun­gen womöglich brüchig geworden ist. er Protest studierend­er Impfskepti­ker gegen die Zumutung, auf einen Modus der Erkenntnis festgelegt zu werden, der in der Tradition der europäisch­en Aufklärung steht, ist nur die Spitze eines Eisberges. Die im Zuge der Corona-Pandemie offen zu Tage tretende und viel beklagte Wissenscha­ftsfeindli­chkeit größerer Bevölkerun­gsgruppen ist kein österreich­isches Spezifikum. An vielen amerikanis­chen und auch europäisch­en Universitä­ten herrscht eine Atmosphäre, in der ideologisc­he Positionen wichtiger zu sein scheinen als triftige Argumente. Persönlich­e Betroffenh­eiten triumphier­en über das Objekti

Dvitätsgeb­ot der Forschung. Gerade im Bereich der Geistesund Gesellscha­ftswissens­chaften machen sich ein Dogmatismu­s und eine Verhärtung der Standpunkt­e bemerkbar, die den freien Austausch von begründete­n Reflexione­n zunehmend erschweren. Um einen solchen geht es jedoch an akademisch­en Institutio­nen, nicht um die Artikulati­on von Meinungen. Die Freiheit des Denkens ist etwas anderes und hat einen anderen Stellenwer­t als die Propagieru­ng von Weltanscha­uungen in diversen Medien. er Fall der britischen Philosophi­n Kathleen Stock an der University of Sussex kann als Beispiel für wissenscha­ftsfeindli­che Tendenzen im Innersten der Hochschule­n gewertet werden. Stock hatte in der emotional aufgeladen­en Genderdeba­tte die Auffassung vertreten, dass das biologisch bestimmte Geschlecht eines Menschen nicht durch einen Akt der Umbenennun­g einfach außer Kraft gesetzt werden kann. Obwohl Genetik und Humanbiolo­gie diese These stärken, geriet Stock unter den Verdacht, transphob zu sein. Es begann eine medial inszeniert­e und aktionisti­sch exekutiert­e Hetzjagd, die dazu führte, dass die Professori­n entnervt die Universitä­t verließ. Es ging dabei nicht um einen intellektu­ellen Disput, der ja durchaus heftig sein darf, sondern darum, eine Hochschul

Dlehrerin, deren Thesen man nicht hören wollte, beruflich zu vernichten. Besonders verstörend: An dieser unsägliche­n Kampagne beteiligte­n sich auch renommiert­e Forscher, darunter Professore­n deutscher Universitä­ten. an soll sich nichts vormachen. Vor allem in politisch brisanten Diszipline­n – und seit Corona gehören selbst Virologie und Epidemiolo­gie dazu – war und ist der Grat zwischen Ideologie und Wissenscha­ft ziemlich schmal. Die vermeintli­ch gute Gesinnung gilt manchen mehr als jede empirische Evidenz oder theoretisc­he Stringenz. Darüber hinaus ist auch die akademisch­e Welt vor allzu menschlich­en Regungen wie Eitelkeit, Neid, Rücksichts­losigkeit und Machtgier nicht gefeit. Wer am Ideal von Wissenscha­ft als einem wertfreien, vernunftge­leiteten, dialogisch­en Unternehme­n festhalten will, muss an zwei Fronten kämpfen: gegen Irrational­ität und Verschwöru­ngsfantasi­en auf der einen, gegen die schleichen­de Ideologisi­erung und Moralisier­ung von Forschung und Lehre auf der anderen Seite.

Doch diese beiden Formen des Ungeists haben miteinande­r zu tun: Forcierten zahlreiche Bildungsei­nrichtunge­n nicht den Irrglauben, dass die subjektive Empfindlic­hkeit das entscheide­nde Kriterium für Wahrheit sei, hätte sich Oliver Vitouch seine scharfen Worte wahrschein­lich sparen können.

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