Im Paralleluniversum
Was die Regierung und gewisse Landeshauptleute zuletzt hingelegt haben, gleicht einer Bankrotterklärung. Den Lockdown haben wir mehr der Politik als dem Virus zu verdanken.
Wohl zu Recht müssen sich Corona-Verharmloser wie auch militanten Impfgegner den Vorwurf gefallen lassen, sie hätten den Bezug zur Wirklichkeit verloren, wären Gefangene ihrer eigenen Blase, stünden mit der Wissenschaft auf Kriegsfuß.
Lässt man Revue passieren, was die Koalition und einige (nicht alle) Landeshauptleute in den letzten Wochen von sich gegeben haben, drängt sich der Verdacht auf: Auch die Regierenden, die in jeder zweiten Sonntagsrede eine Politik der Verantwortung und der Weitsicht einmahnen, bewegen sich in einem Paralleluniversum, das mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat und wissenschaftliche Erkenntnisse mit Füßen tritt.
Während die Infektionszahlen steil nach oben schossen und alle Experten auf scharfe Einschnitte pochten, um die vierte Welle zu brechen und eine Trendwende herbeizuführen, ätzte Kanzler Schallenberg über den Gesundheitsminister, weil dieser die nächtliche Gastronomie zusperren wollte: „Dass wir noch einmal in die Nachtgastro gehen, sehe ich nicht.“Tourismusministerin
Köstinger verstieg sich zu der Aussage, sie halte „überhaupt nichts von den Wortmeldungen“des Gesundheitsministers.
Nun wird in Salzburg und Oberösterreich nicht nur die Nachtgastro geschlossen, sondern gleich alles: Wirts- und Kaffeehäuser, Geschäfte, Shoppingcenter, Christkindlmärkte, Fitnessstudios. Schallenberg & Co. hätten mehr auf Virologen statt auf Parteistrategen hören sollen. Der Gesundheitsminister war in den vergangenen Tagen entweder auf Tauchstation oder allein auf weiter Flur. Kein Ruhmesblatt in der Hochphase einer Pandemie.
Den Vogel hat ohnehin Salzburgs Landeshauptmann Haslauer abgeschossen, der vor Kurzem noch mit einem Anflug von Häme einen Lockdown als abstruse Idee von Virologen abgetan hat. Was ihn da geritten hat? War es der fatale Trugschluss, dass sich das noch irgendwie ausgeht? Dann sollte sich Haslauer neue Berater holen. Oder die türkise Erzählung, dass die Pandemie für Geimpfte vorbei sei? Das Schielen auf Stimmungen, auf die Impfskeptiker?
Von der ÖVP wird gern auf die Geimpften verwiesen, die man mit harten Maßnahmen vor den Kopf stoßen würde. Welch Fehleinschätzung! Jeder Geimpfte schäumt über die abstrusen Argumentsketten der Impfgegner. Da die Impfung auch einen Akt der Solidarität darstellt, bringen Geimpfte mehr Verständnis für einen Lockdown – zum Schutz der Intensivstationen – auf als Ungeimpfte. In jedem Fall haben die Geimpften den Ernst der Lage früher erkannt als große Teile der Politik. ach dem Lockdown wird die Politik mit der Impfpflicht die nächste heilige Kuh schlachten müssen. Selbst wenn zu Weihnachten die Welt wieder in Ordnung ist, droht Österreich im Frühjahr der fünfte, im Herbst 2022 der sechste Lockdown. Diese fatale Dynamik muss gebrochen werden. Einzige Antwort auf die Pandemie ist die Impfung.
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