Kreativer Schichtbetrieb
Luise Höggerl gestaltete den leer stehenden Grazer Tapezierbetrieb Zotl in eine offene Werkstatt um.
Wie die Jahresringe eines Baumstamms lassen sich die Wände in Luise Höggerls „Atelier“in der Harrachgasse 1 lesen. Schicht für Schicht wurden dort Tapeten seit den 1930er-Jahren auf-, aber nie abgetragen. Über drei Generationen war in der engen Grazer Seitenstraße der Tapezier- und Dekorateurbetrieb Zotl einquartiert. Mehr als zehn Jahre standen die Räumlichkeiten nun leer. Die junge Kreative Höggerl, die im selben Haus ihre Wohnung hat, sah im Leerstand eine Fülle an Möglichkeiten. Also kontaktierte sie den Besitzer. „Mein Plan einer Werkstatt für junge Kunstschaffende stieß auf offene Ohren“, erinnert sich die gebürtige Leibnitzerin. Höggerl bekam kurzerhand die Schlüssel.
Betriebskosten und Miete muss sie dafür keine bezahlen. Ein Privileg, wie sie betont. Seit Mai hat der Treffpunkt für Kreative seine Pforten geöffnet. Die tagesabhängigen Öffnungszeiten werden spontan auf Instagram kommuniziert. Veranstaltet werden von Höggerl und ihrem Team Workshops, Konzerte, Flohmärkte, Ausstellungen oder Lesungen. er Geist des ehemaligen Familienunternehmens umweht die Räumlichkeiten dabei nach wie vor. Geradezu mystisch wirkt dieser Ort, der aus seinem Dornröschenschlaf geweckt wurde, aber seine Ursprungsform beibehalten hat.
Noch immer ziert die Fassade das geschwungen-leuch
Dtende Zotl-Logo. Wie einst die Tapeziermeister gestaltet Höggerl ihre Werkstatt Schicht für Schicht um. „Der Raum wird laufend verändert, neue Möbel kommen hinzu, neue Leute sorgen für neue Ideen und Kunstwerke“, erzählt die 22-jährige FH-Studentin. Dem wiederentdeckten Zotl stellt Höggerl die sympathische Bezeichnung „Amateurverein“voran. „Das Zotl ist ein kreativer Treffpunkt, kein elitärer Zirkel“, betont sie. n den Mauern des Meisterbetriebs darf gepatzt und ausprobiert werden. Jeder und jede ist willkommen. Finanziert wird die künstlerische Anlaufstelle mit wenigen Förderungen und Spenden von Besuchern. Das Kapital von Luise Höggerl ist jedoch der gegenseitige Respekt. „Ich möchte mit diesem Projekt einerseits den Leerstand sinnvoll nutzen und andererseits für mehr GenerationenAustausch in der Nachbarschaft sorgen“, betont die Südsteirerin.
Wichtig sei ihr, dass die alternative Anlaufstelle keine Party-Location, sondern ein heimeliger Gemeinschaftsplatz für Jung und Alt sei. Apropos alt: Ob der alte „Herr Zotl“vom Projekt weiß, ist Höggerl nicht bekannt. Die Türen stehen ihm auf jeden Fall offen.
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