Die Schrecken der Wiener Wildnis
Johan Simons inszeniert Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“als Konfrontation der Körper: schaurig und grandios.
Geschichten aus dem Wiener Wald“: einer dieser erosionsbeständigen Monolithen der deutschsprachigen Dramenliteratur. Ödön von Horváths berühmte Abgründe der Gemütlichkeit nimmt nun Johan Simons in seiner Inszenierung am Burgtheater ins Visier: Mit analytischer Schärfe, aber ohne Hohn zeichnet er ein Milieu, das sich immer im Recht sieht und bereits von den Myzelien des Faschismus durchdrungen ist.
Es ist ein formidabler Horváth, den Simons da serviert: radikal ausgelichtet und gegen den Strich gebürstet. Die Geschichte der jungen Marianne, die ihre halbherzige Verlobung mit dem Fleischer Oskar löst, als sie dem Tunichtgut Alfred begegnet, und für ihren Schritt aus der kleinbürgerlichen Gesellschaft bitter bezahlt, ist bei Simons eine Art Naturstudie: Wien als Wildnis, die von Bestien bewohnt wird: vor allem die Männer handeln allesamt aus brutalem Eigennutz.
Aber Marianne, bei Horváth Opfer gesellschaftlicher Herzensenge, widersetzt sich hier der ihr zugedachten Rolle. Das verleiht der Figur, die Sarah Viktoria Frick mit viel trotziger Energie ausstattet, neue Spannung. An ihrem Vater, von Oliver Nägele mit qualliger Präsenz gespielt, wird sie sich dennoch ebenso aufreiben wie an dem windigen, schwachen Alfred (Felix Rech), der Marianne nicht so lieben kann, wie er soll, und Nicholas Ofczarek als Oskar. Der zeigt, dass man in dieser Rolle noch überraschen kann: Er spielt die monströse Liebe des Fleischhauers mit einer widerlichen, frömmlerischen Sanftheit, in der die Rohheit nur ein paarmal aufblubbert. Etwa, wenn er und Marianne sich am Ende minutenlang in den titelgebenden Strauß-Walzer verstricken: ein Tanz als Konfrontation, in der sich Elend und Grausamkeit ihrer Beziehung abbilden.
Überhaupt ist diese geradlinige, dunkle Inszenierung (Bühne: Johannes Schütz) ganz auf die Körper konzentriert: In den Tätschlern, Streichlern, Stupsern, die unablässig ausgeteilt werden und immer wieder in unheimliche Ringkämpfe zwischen Männern und Frauen münden, werden Sehnsüchte und Aggressionen einer Männergesellschaft offenbar, die längst an sich selbst erschöpft ist. Am Ende sitzen die Mitwirkenden zusammengesackt an den Bühnenwänden und warten, bis es vorbei ist. Nicht so das Publikum: langer, begeisterter Jubel. Diese Inszenierung sollte ein Renner sein. Hoffentlich wird nach dem Lockdown noch einer daraus.
Ute Baumhackl www.burgtheater.at