Kleine Zeitung Steiermark

Weichenste­llungen in einer fragilen Wirtschaft­swelt

- Von Manfred Neuper

Das heikle Spannungsf­eld aus stark steigender Inflation, umstritten­er Geldpoliti­k sowie rasant wachsender Staatsvers­chuldung wird das Jahr wirtschaft­lich prägen. Wer an diesen Schalthebe­ln die Weichen stellen muss.

Sie hat reihenweis­e frühere Männerbast­ionen eingenomme­n – und sie gilt als Frau der klaren Worte: Janet Yellen. Seit fast genau einem Jahr ist die 75-jährige Ökonomin nun US-Finanzmini­sterin, sie wurde im Jänner des Vorjahres als erste Ressortche­fin in der mittlerwei­le 232-jährigen Geschichte dieser Behörde angelobt. Zuvor stand sie zwischen 2014 und 2018 der US-Notenbank Fed als Präsidenti­n vor – auch in dieser Funktion war sie die erste Frau.

Und auf Yellen kommen auch 2022 große Herausford­erungen zu. Im Spannungsf­eld zwischen Coronakris­e, Konjunktur­entwicklun­g, rasant steigender Inflation und stark wachsender globaler Schuldenbe­rge wartet auf die Finanzpoli­tik der großen Wirtschaft­smächte sowie die Geldpoliti­k der Notenbanke­n jede Menge Arbeit.

Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass die USA und die Euro-Zone im Kampf gegen die Teuerung ein unterschie­dliches Tempo einschlage­n. Fed-Chef Jerome Powell hat mit den US-Währungshü­tern einen Fahrplan für 2022 erstellt, der einen Ausstieg aus der ultralocke­ren Geldpoliti­k vorsieht, so könnten heuer u. a. die Leitzinsen dreimal – Analysten meinen, womöglich sogar viermal – erhöht werden. Zuletzt kletterte die US-Inflation bereits auf 6,8 Prozent, den höchsten Wert seit 1982.

Powells Vorgängeri­n Yellen hat als Finanzmini­sterin schon Mitte 2021 wiederholt und mit deutlichen Worten vor der Inflation gewarnt. Anfang Dezember erneuerte sie ihre Einschätzu­ng. Man könne die Inflation „nicht als vorübergeh­end bezeichnen“, so Yellen. „Wir wissen, dass die hohe Inflation ihren Tribut fordert“, betonte Powell erst gestern in einer Rede vor einem Senatsauss­chuss. Die gestiegene­n Kosten für Lebensmitt­el, Wohnung und Verkehr träfen besonders die sozial Schwachen. „Wir werden unsere Instrument­e nutzen, um die Wirtschaft und einen starken Arbeitsmar­kt zu stützen und um zu verhindern, dass sich die Inflation festsetzt.“ine Wortwahl, die in Europa in dieser Klarheit lange kaum zu vernehmen war. Monatelang war im Zusammenha­ng mit der Preisentwi­cklung vor allem von „temporären Effekten“die Rede. Im Dezember ist die Inflation im Euro-Raum mit fünf Prozent dann aber bereits auf den höchsten Wert seit Aufzeichnu­ngsbeginn im Jahr 1997 gestiegen. Aus der Coronakris­e resultiere­nde Lieferkett­enprobleme, Materialen­gpässe und geradezu explodiere­nde Energiekos­ten heizen die Inflation an.

EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde, die Französin war einst erste Finanzmini­sterin eines G8-Staats, erste Frau an der Spitze

Edes Internatio­nalen Währungsfo­nds und seit 2019 auch die erste Präsidenti­n der EZB, hat dafür immer wieder Kritik einstecken müssen. Immerhin hat sich die Inflations­rate schon längst – und in deutlichem Ausmaß – vom EZB-Zielwert von zwei Prozent entfernt. Die EZB will heuer zwar das milliarden­schwere Anleihenka­ufprogramm zurückfahr­en, eine Erhöhung der seit 2016 bei null Prozent liegenden Leitzinsen gilt aber als unwahrsche­inlich, wie Lagarde ausgeführt hatte. „Die Inflation dürfte kurzfristi­g hoch bleiben, aber sich im Laufe des Jahres abschwäche­n“, so die Einschätzu­ng. Realistisc­h? Der Chefanalys­t von Raiffeisen, Peter Brezinsche­k, hat Ende des Vorjahres kritisiert, dass Vertreter der EZB „krampfhaft von einer temporären Entwicklun­g sprechen“, während sich die Fed schon früher auf ein höheres Inflations­potenzial eingestell­t habe.

Der Ökonom Friedrich Schneider warnte im Dezember vor einem „gewagten Spiel der EZB“. Halte die Nullzinspo­litik an, bleibe die Inflation hoch, hebt man die Zinsen an, steigen die Refinanzie­rungskoste­n für hoch verschulde­te Euro-Länder. Doch genau mit diesem Punkt laufe die EZB Gefahr, ihr wichtigste­s Mandat, nämlich jenes der Sicherstel­lung von Preisstabi­lität, zu verletzen. er Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) warnt – mit Blick auf die US-Pläne – unterdesse­n vor allzu raschen Anhebungen der Leitzinsen. Denn diese hätten „auch weitreiche­nde Auswirkung­en auf Schwellenl­änder, ihnen drohten in diesem Fall Kapitalabf­lüsse und Abwertunge­n ihrer Währungen“, so der Befund. Mit Spannung wird der Weltwirtsc­haftsausbl­ick des IWF in der übernächst­en Woche erwartet, zumal IWF-Chefin Kristalina

DGeorgieva, in dieser Position Nachfolger­in von Lagarde, im Vormonat eine Senkung der Prognosen für „wahrschein­lich“erklärt hatte.

Georgieva hat zuletzt auch ein Thema angesproch­en, das die Euro-Zone in diesem Jahr intensiv beschäftig­en wird. Wegen der Pandemie ist ja der EU-Stabilität­spakt 2020 vorübergeh­end (bis 2023) ausgesetzt worden. Nun stellt sich die Frage, ob man 2023 wieder zu den davor gültigen Regeln zurückkehr­en soll oder überhaupt eine Reform des Stabilität­spakts in Angriff nehmen sollte. Ein heikles Unterfange­n, das bisher vor allem durch große Uneinigkei­t unter den Euro-Ländern geprägt warf. Die IWF-Chefin warnte jedenfalls vor einer „übereilten Rückkehr zu den alten Regeln“. Die Anwendung „würde eine unrealisti­sch große und kontraprod­uktive Belastung für einige hoch verschulde­te Staaten darstellen“.

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ADOBE STOCK, AFP, AP (2) Christine Lagarde, Kristalina Georgieva und Janet Yellen

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