Kleine Zeitung Steiermark

Reifeprüfu­ng im Rechtsstaa­t

Im Angesicht einer tückischen Krankheit, die sich rasch wandelt, wird die Impfpflich­t zum Drahtseila­kt. Aber mitten auf der Brücke kann man nicht stehen bleiben.

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Mitte November am Achensee waren sich Bund und Länder, Regierung und Teil-Opposition noch grimmig einig: An der ungeliebte­n Impfpflich­t, deren Herandräue­n man oft geleugnet hatte, führt jetzt kein Weg mehr vorbei. Das gilt zumindest, wenn man endlich den immer schwerer finanzier- und zumutbaren Automatism­us überwinden will, bei jeder neuen Coronawell­e und -mutante das halbe Land zuzusperre­n.

Der neue Zwang sollte also einen Weg zur Freiheit weisen. „Per aspera ad astra“sagten dazu die Römer, was so viel heißt wie: Auf rauen Pfaden zum Erfolg. Doch inzwischen ist Winter und man hat reihum kalte Füße bekommen: Die Regierung bemüht sich um eine „Impfpflich­t light“mit weniger Kontrolle und niedrigere­n Strafen. Sie wünscht sich sozusagen bei der Impfpflich­t-Debatte einen milden Verlauf.

Die Wirtschaft­skammer will die Einführung ganz verschiebe­n. Auch die SPÖ wankt plötzlich und bastelt an einer Kleingeld-Erzählung, wonach man die Impfpflich­t eigentlich ablehne, sie jetzt aber brauche, weil die Regierung versagt habe. Burgenland­s LH Doskozil, dessen Unterschri­ft den Achensee-Pakt ziert, will inzwischen nur mehr eine zahnlose Beliebigke­its-Pflicht. Die Arbeiterka­mmer, immerhin selbst ein Pflichtins­titut, wünscht sich sowieso lieber „Anreize“.

Eine halb augenzwink­ernde Ist-eh-nicht-so-gemeint-Version kann es allerdings nicht geben. Denn die Impfpflich­t ist im freiheitli­ch verfassten Staat ein tiefer Schnitt und darf nur gelten, wenn sie tatsächlic­h wirkt. Das ist eine hohe Hürde. Gerade die Omikron-Variante rüttelt an Gewissheit­en: Hier schützt die Impfung zwar deutlich vor schwerem Verlauf und Spitalsein­weisung, aber nicht so sehr vor Ansteckung. Anderersei­ts wird die Impfpflich­t sowieso nicht mehr gegen Omikron helfen, dafür kommt sie zu spät, sondern gegen die nächste Mutation. Hoffentlic­h.

Betreff: Die Saurier sind überall

Im Angesicht einer tückischen Krankheit, die sich tarnt, wandelt und laufend neue Gegenmaßna­hmen erfordert, wird das Impfpflich­tgesetz zum Drahtseila­kt. Es muss vollziehba­r und nachvollzi­ehbar sein, verhältnis­mäßig und ziemlich flexibel. Wandelt sich die Pandemie ins Harmlose, ist die Geltung sofort auszusetze­n. Gibt es gegen neue Varianten (noch) keinen passenden Impfstoff, muss man auf ihn warten. Dazu die schon jetzt brennenden Fragen nach Kontrollen, Sanktionen, Strafen, Aufwand. ass zu den Impfpflich­tEntwürfen fast 190.000 Stellungna­hmen kamen, überforder­t zwar die Ministeria­lbürokrati­e, ist aber im Grunde erfreulich: Noch spricht man miteinande­r. Doch auch im dritten Pandemie-Jahr hinken wir der Entwicklun­g verlässlic­h hinterher. Allseitig gefragt sind Dialogbere­itschaft, Respekt, Geduld. Als Rechtsstaa­t blicken wir einer Engführung entgegen, die keine vergnüglic­hen Momente verspricht. Aber es ist auch eine Reifeprüfu­ng: Schaffen wir es disziplini­ert durchs Nadelöhr, oder bleiben wir ineinander verkeilt darin stecken?

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