Ein Hoch auf eine Welt der Utopien
Die Vermessung einer beschädigten Welt im Kunstverein < rotor > und eine Retrospektive auf das Werk von Stano Filko in der Halle für Kunst.
Verglichen mit dem Alter der Erde ist die Anwesenheit des Menschen ein lachhaft kurzes Intermezzo. Wäre nur nicht sein Fußabdruck so radikal nachhaltig (im negativen Sinne), dass die Naturwissenschaft vom Anthropozän spricht, also vom menschengemachten Zeitalter. Dieses überspringt man im Grazer Kunstverein < rotor > mit seinem Jahresschwerpunkt „Wesen & Kreaturen“mit voller Absicht. Ein vierteiliger Zyklus widmet sich einer Vielzahl von Spezies, der Mensch ist dabei nur eine unter vielen. Sieben Künstlerinnen und Künstler sowie ein Duo beschäftigen sich mit dem Thema: „Auf einer beschädigten Erde“.
Das klingt nur nach Resignation, aber die in Teer getauchten, kraftvollen Holzflügel/Holzflossen von Stefan Glettler erzeugen eine Dynamik, die man nicht als Überlebenskampf deuten muss, sondern als kräftige
Lebenszeichen wider alle vom Menschen gemachten Bedrohungen. Das ist auch der Grundtenor der Schau, wie Kuratorin Margarethe Makovec betont: „Die Hoffnung ist wichtig!“Ebenso die Transformation und der Aktivismus. Die künstlerischen Positionen wirken wie ein Brennglas auf den vom Menschen gemachten Wahnsinn: Paul Lässer inszeniert im Lichthof die Dualität von Paradies und Hölle mit der perfekten Vorgartenidylle – Rasenteppich, Flamingos und die Schöpfungskrone der Baumarktketten: der Roboterrasenmäher. Andrea Palaˇsti hingegen rekonstruiert Leben und Sterben des Orang-Utans „Emil“und legt mit ihrer dokumentarischen Fotoarbeit die Raubtiergesinnung des Menschen frei. „Emil“war Anfang des 20. Jahrhunderts der Liebling
Schönbrunn – mit Süßigkeiten zu Tode geliebt. Nun machte sich die Künstlerin auf die Spur nach seinen Überresten: das Fell im Naturhistorischen Museum, die Hände auf der Zoologie, der Kopf – nicht nur unter Jägern eine begehrte Trophäe – verschwunden. Palaˇsti lässt den Kopf als Modell mit dem 3-DDrucker rekonstruieren und gibt dem Tier seine Würde zurück.
Böhler & Orendt skizzieren wiederum mit ihrer Serie an Bildern eine märchenhafte Utopie mit überbordender Symbolik, die bereits beim Homo sapiens das Problem ortet. „Wir neigen ja dazu zu glauben, dass das ein Problem der Gegenwart ist“, erklärt Kurator Anton Lederer den Ansatz des Duos, das als Konsequenz des Tyrannentums die Menschheit in einem von Tieren gebauten Lotusraumschiff wo auch immer hinschickt. Ein Happy End? Für die Erde auf jeden Fall.
Kapitel
1:
Auf einer beschädigten Erde. Bis 4. Juni 2022, Volksgartenstraße 6a, Graz. rotor.mur.at
Wenngleich bei uns wohl nur wenigen Experten bekannt, ist Stano Filko (1937 – 2015) angesichts seines Gesamtwerks dennoch zu den bedeutenden Vertretern neoavantgardistischer Kunst zu zählen. Ausgehend von den 1960er Jahren entwickelte er über Jahrzehnte ein gleichermaßen immenses wie komplexes Werk in Orientierung an Fluxus, Nouveau Réalisme, Dada, Konzept- und Pop Art unter dem Generaltitel „System SF“(Stano Filko). In Zusammenarbeit mit der Slovak National Gallery und der Linea Collection Bratislava gibt die Schau in der Grazer Halle für Kunst nun Einblick in die Konzepte Filkos, für den man sich einige Zeit nehmen sollte. Vor allem die frühen Arbeiten mit pneumatischen Skulpturen und Modellen utopischer Architekvon tur zeugen vom Interesse an Kosmologie und Metaphysik. Mit Happenings und Installationen im öffentlichen Raum wurde Filko in den 1960er Jahren einige Anerkennung zuteil. Mit der Niederschlagung des Prager Frühlings wurde er aufgrund seiner systemkritischen Haltung und Kunst zur Persona non grata erklärt.
Filko begab sich auf abenteuerliche Flucht in einem weißen Sˇkoda – der später zentral in seiner Installation während der documenta 7 (1982) stand – und emigrierte nach New York. Installationen aus dieser Zeit – Diaprojektionen und figurativ bedruckte Gazeschleier sowie Multiples aus blauem, rotem und weißem Plexiglas – zeugen vom Einfluss der Pop Art. Rot, Blau und Weiß, die Farben der tschechoslowakischen Flagge, die durchgehend das System FS dominieren, erfahren bei Filko eine Umwidmung nach unterschiedlichen Daseinsbereichen in „Materie“, „Kosmos“und „Leere“. Drei große Ventilatoren aus immer wieder adaptierten Installationen zwischen 1967 und 1995 tragen den Titel „Wind“. In theoretischen Schriften und Manifesten erläuterte Filko immer wieder seine Arbeiten. Diese und Dokumente seiner gesellschaftskritischen Happenings sind im Untergeschoss einzusehen.
Wenzel Mracek Stano Filko. A Retrospective.
Bis 5. Juni, Halle für Kunst Steiermark, Burgring 2, Graz. halle-für-kunst.at