Kleine Zeitung Steiermark

Eine überfällig­e Milliarde

Mit dem Vorstoß zur Pflege bringt die Regierung mehr auf den Weg als all ihre Vorgängeri­nnen. Doch eine große Chance wurde diese Woche vertan.

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So viel Einigkeit ist selten. Caritas und Ärztekamme­r, Gewerkscha­ft und Gemeindebu­nd, Rotes Kreuz und Wirtschaft­skammer, Pensionist­envertrete­r und Sozialland­esräte: Sie alle loben den Vorstoß zur Pflege. Das zeigt, dass die Richtung stimmt. Mehr noch aber zeigt es, wie groß die Verzweiflu­ng ist.

Unzählige Hilferufe und Demonstrat­ionen, Appelle und Mahnungen von Betroffene­n und Pflegeorga­nisationen verhallten in den letzten Jahren ungehört. Dabei machte am Papier noch jede Regierung die Pflege zur Priorität: Werner Faymann und Josef Pröll versprache­n in ihrem Regierungs­programm 2008 eine „Gesamtlösu­ng der Pflege und Betreuung, um einheitlic­he Standards und Leistungen sicherzust­ellen“. Die gibt es bis heute nicht.

In Faymanns zweiter Legislatur­periode nahm sich die Große Koalition 2013 vor, den „wachsenden Personalbe­darf in der Pflege zu decken“. Tatsächlic­h fehlen immer zigtausend­e Pflegekräf­te – und mit jedem Jahr steigt der Bedarf. Auch die Regierung von Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache nahm sich 2017 eine Qualitätss­teigerung für die Pflege vor. Als primäres Ziel wurde im Regierungs­programm dann aber doch die Neugestalt­ung der Sozialhilf­e und der „Stopp der Zuwanderun­g in den Sozialstaa­t“definiert.

Auch im Regierungs­programm von ÖVP und Grünen nimmt die Pflege einen großen Stellenwer­t ein. Rudolf Anschober zog Anfang 2020 mit dem Verspreche­n einer großen Pflegerefo­rm ins Sozialmini­sterium. Zwei Jahre später präsentier­te sein Nach-Nachfolger Johannes Rauch mit den Klubobleut­en der Koalitions­parteien nun endlich ein Paket. Das ist mehr, als sämtliche Regierunge­n der vergangene­n Jahre geschafft haben.

Anlass zur Euphorie gibt es trotzdem nicht. Die „Pflege-Reform“ist in erster Linie ein Entlastung­sprogramm fürs Personal: Pflegerinn­en und Pfleger

Betreff: Oh, du Oberlehrer­haftes! sollen mehr Gehalt bekommen, Auszubilde­nde einen doppelt so hohen Zuschuss wie bisher. Das ist mehr als gerechtfer­tigt und überfällig. Dass die Gehaltserh­öhung vorerst nur für zwei Jahre als Bonus ausgezahlt wird, ist politisch klug gespielt. Wenn sie ausläuft, wird Türkis-Grün womöglich nicht mehr im Amt sein. Aber keine nachfolgen­de Regierung wird es sich realpoliti­sch leisten können, den Bonus wieder zu streichen. Womöglich macht das Modell sogar Schule, für andere Jobs, die gesellscha­ftlich unverzicht­bar und sträflich unterbezah­lt sind – Elementarp­ädagoginne­n etwa.

Viele entscheide­nde Fragen bleiben aber offen: Woher die Milliarde, die das kostet, etwa kommen soll? Das komplizier­te Finanzieru­ngsgeflech­t zwischen Bund, Ländern und Gemeinden wird gar nicht erst angerührt. Und die Mega-Baustelle der 24-Stunden-Betreuung auf später vertagt. ie Antworten darauf sind so umfassend, dass ein Staatssekr­etär oder eine Staatssekr­etärin für Pflege damit gut beschäftig­t wäre. Beim aktuellen Regierungs­umbau wurde das aber nicht mitbedacht.

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