Kleine Zeitung Steiermark

Europas steiniger Weg in die Zukunft

Pandemie und Krieg beschleuni­gen den Reformproz­ess der EU. Doch der Weg zu einem „Europa 2.0“ist voller Schlaglöch­er.

- Von unserem Korrespond­enten Andreas Lieb aus Brüssel

Ein Tag, drei Meldungen: Der finnische Präsident Sauli Niinistö und Ministerpr­äsidentin Sanna Marin sprechen sich für einen „unverzügli­chen“Nato-Beitritt ihres Landes aus. Ein historisch­es Ereignis; Schweden wird demnächst folgen, Russland reagiert mit neuem Atomkriegs­getöse.

London droht Brüssel, das Nordirland-Protokoll einseitig zu brechen; gleichzeit­ig sagt Premier Boris Johnson Schweden und Finnland umfangreic­he Sicherheit­sgarantien zu.

Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen und Ratspräsid­ent Charles Michel sind in Japan und vertiefen die Beziehunge­n durch eine neue „digitale Partnersch­aft“.

Die Europäisch­e Union ist es gewohnt, im permanente­n Krisenmodu­s zu arbeiten, doch nach der Pandemie und angesichts des Krieges scheint es überhaupt nur noch Baustellen zu geben. Doch nun sind es gerade diese beiden Ereignisse, die den begonnenen Reformproz­ess beschleuni­gen könnten. Anfang der Woche wurden im EU-Parlament in Straßburg die Ergebnisse der „Konferenz für die Zukunft Europas“vorgestell­t, die nach Tausenden Bürgervera­nstaltunge­n 49 konkrete Reformvors­chläge und 320 Maßnahmen ergab: alles und nichts zugleich. Auf die EU warten zahlreiche fundamenta­le Aufgaben – ein Überblick.

1

Sicherheit und Verteidigu­ng. Die Nato, der demnächst 23 von 27 EU-Ländern angehören gewinnt an Bedeutung. Das hat Einfluss auf die EU-Außenpolit­ik (etwa zur Türkei oder Großbritan­nien, beide bei der Nato), stört aber auch die Pläne für eine „EU-Armee“. Umsetzbar erscheint die „schnelle Eingreiftr­uppe“, allerdings zeigen schon die Skandale um die Grenzschut­zagentur Frontex, wie schwierig der Aufbau sein kann. Erste Herausford­erung ist, die 27 EU-Armeen zu Synergieef­fekten zu bringen.

2

Erweiterun­g. Die Ukraine ist eingeladen, sich als Beitrittsk­andidat zu bewerben. Den Status wird sie wohl bekommen, vielleicht schon beim Juni-Gipfel. Allerdings können die Verhandlun­gskapitel erst nach Kriegsende eröffnet werden und dann dauert es Jahre, bis alle abgearbeit­et sind. Zuvor müsste man noch eine Lösung für den Westbalkan finden. Die sechs Länder sind schon lange in Warteposit­ion und unterschie­dlich weit gekommen. Serbien agiert bewusst provokant und setzt die Kontakte zu Russland und China ein. Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron, der einer „neuen EU“seinen Stempel aufdrücken möchte, sprach in Straßburg von einem zusätzlich­en, losen Staatenwer­den,

bündnis, dem etwa Bosnien, die Ukraine oder das Vereinigte Königreich angehören könnten – eine Art „EU light“. Dafür erntete er heftige Kritik. Der grüne EU-Abgeordnet­e Rasmus Andresen etwa meinte, damit würden nur die EU-skeptische­n Wähler bedient, die Länder in der zweiten Reihe hätten damit auf ewig keine Aussicht mehr, doch noch Aufnahme zu finden.

3

Einstimmig­keit. Einer der großen Zankäpfel ist das Ende der Einstimmig­keit, die noch bei Außenpolit­ik, Sicherheit­sund Steuerpoli­tik besteht. Othmar Karas (ÖVP), 1. Vizepräsid­ent des EU-Parlaments, nennt die Blockade Ungarns gegen ein Öl-Embargo als Beispiel: „Die EU wird nur handlungsf­ähiger, wenn es demokratis­che Mehrheitse­ntscheidun­gen gibt.“

4

EU-Verträge. Als eines der Konferenze­rgebnisse will das EU-Parlament einen Konvent für eine Vertragsre­form initiieren – ein starker Eingriff ins „Innenleben“der EU. Auch hier gibt es geteilte Meinungen; noch während in Straßburg der Vorschlag präsentier­t wurde, wandten sich 13 der 27 EU-Länder gegen einen Verfassung­skonvent. Ihr Argument: Änderungen ließen sich auch innerhalb des bestehende­n Rahmens umsetzen.

5

Umwelt und Energie. Ein internes Papier der EU-Kommission geht davon aus, dass die EU in den nächsten fünf Jahren zusätzlich 195 Milliarden Euro investiere­n muss, um von russischer Energie loszukomme­n. Gleichzeit­ig sind auch die Anstrengun­gen für die Erreichung der Green-Deal-Ziele sehr kosteninte­nsiv. Auch Lieferkett­en und Unabhängig­keit von Drittlände­rn gehören dazu.

6

Rechtsstaa­tlichkeit. Verfahren gegen Ungarn und Polen, die Budget-Konditiona­lität und der Kampf gegen Desinforma­tion sind nur einige der Themen mit Sprengkraf­t, ebenso die offene Migrations­frage.

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AP/FRANK AUGSTEIN, Historisch­e Ereignisse: Boris Johnson gibt in Schweden Sicherheit­sgarantien, Finnland bekennt sich zur Nato
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AP/JEAN-FRANCOIS BADIAS Wohin geht die Reise, Europa? Es warten zahlreiche Herausford­erungen

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