Moral und Fehlbarkeit
Rapper und Pulitzerpreisträger Kendrick Lamar meldet sich zurück. So intim und verstörend hat man den 34-Jährigen noch nie gehört.
Auch eine Tonne Federn wiegt 1000 Kilo. Kendrick Lamar, der größte Rapper unserer Zeit und Pulitzerpreisträger, ist – lang erwartet – zurück.
Mit einem Album, das den Titel „Mr. Morale and the Big Steppers“trägt und zurück zu seinen Anfängen als Normalo-Rapper führt. JazzLabyrinthe gehören der Vergangenheit an. Ebenso verknotete BeatStrukturen, die an Fieberträume erinnern. Album Nummer fünf ist ein unverkopftes Werk geworden, getragen von geradlinigen Trap-Beats, Synth-Schluchten oder unscheinbaren KlavierMiniaturen und reduzierten Orchester-Arrangements, die episch klingen.
Aber nur scheinbar ist dieses Album leicht wie eine Feder. Wer das intim-verstörende Werk verstehen möchte, muss von hinten anfangen, „Mother I Sober“hören. Darauf: eine nie da gewesene Thematisierung von Misshandlungsstrukturen in der schwarzen Community, die Vererbung von Rache über Generationen, deren Auswirkung auf den Selbstwert von halbstarken Rappern und starken Frauen.
Generell ist dieses Album die vertonte Dichotomie, das Aufeinanderprallen von zwei Welten, die Lamar beide verkörpert. Den Intellekt des
nie
„Mr. Morale“auf der einen Seite, den von Traumata und Armut geprägten Gangster-Pragmatismus des „Big Steppers“auf der anderen Seite. Lamar bricht darauf mit seiner ihm aufgedrängten Vorbildrolle und Unfehlbarkeit. „I can’t please everybody“singt er auf „Crown“. Auf „Worldwide Steppers“rappt er über seinen Rassismus gegenüber Weißen, auf „Auntie Diaries“über die Transphobie in seiner Familie, an etlichen anderen Stellen über seine Sexsucht. Die Gesellschaft hat Lamar bereits beleuchtet, nun ist seine Seele dran.
Mr. Morale and the Big Steppers. Universal.