Kleine Zeitung Steiermark

Zur Person

-

kauf bezahlen sollen. Wir reden nicht nur über Leute, die Mindestsic­herung beziehen oder arbeitslos sind, wir reden über Menschen in Vollzeitbe­schäftigun­g. Das ist dramatisch. Ich verstehe nicht, warum man auf politische­r Ebene den Leuten nicht schon längst unter die Arme gegriffen hat. Im Übrigen auch den Unternehme­n. Wir sehen gerade einen unglaublic­hen Verlust der Massenkauf­kraft.

Bei den Wohnkosten, dazu zählen die Kosten für Heizung und Strom. Wenn ein voller Heizöltank bisher 2000 Euro kostete, so sind es nun 4000 Euro. Ein weiteres Beispiel: Kann jemand seine 30 Prozent höhere Stromrechn­ung nicht mehr bezahlen, wird ihm der Stromvertr­ag gekündigt. Er muss einen neuen Vertrag bei einem anderen Anbieter abschließe­n, der verlangt aber nicht 30 Prozent, sondern 300 Prozent mehr. Man kann sich vorstellen, was das mit den Menschen macht.

Es geht so weit, dass die Leute sagen, sie wissen nicht mehr, wie sie den Kindern was zum Essen kaufen sollen.

Josef Pesserl, Jahrgang 1957, ist gelernter Kfz-Mechaniker und kam 1989 hauptberuf­lich zur Gewerkscha­ft. 2003 wurde er zum Obmann der steirische­n Gebietskra­nkenkasse gewählt, 2013 folgte er Walter Rotschädl in das Präsidente­namt der Arbeiterka­mmer Steiermark, 2019 wurde er wiedergewä­hlt.

Der Steirer ist verheirate­t und Vater zweier Söhne.

Es ist nicht seriös, wenn man Dinge doppelt und dreifach verkaufen will – als angebliche Linderung der Belastung für die Bevölkerun­g. Ein typisches Beispiel ist die Beseitigun­g der kalten Progressio­n. Denn die hat mit der exorbitant­en Teuerung nichts zu tun. Die kalte Progressio­n reduziert Kaufkraft, indem Einkommen in eine höhere Steuerklas­se kommen, obwohl Preissteig­erungen nicht berücksich­tigt werden. Wir verlangen schon seit Jahren, dass das beseitigt wird. Es ist nicht fair, das jetzt als Linderung der Inflation hinzustell­en. Auch wenn die Maßnahme als solche sehr positiv ist.

Die Regierung will sechs Milliarden Euro verteilen, um die Inflation abzufedern. Wird das ausreichen?

Da ein Bonus, dort ein Bonus, das ist ja positiv, aber es löst die Probleme nicht. Das ist wie eine Schmerztab­lette, lässt die Wirkung nach, sind die Schmerzen wieder da. Sechs Milliarden Euro klingt nach viel, aber wie viel für die einzelnen Haushalte bleibt, ist für mich derzeit nicht nachvollzi­ehbar. Wirken soll es ab Herbst, die Preissteig­erungen gibt es aber schon seit Februar.

Auch das ist sehr positiv, hat mit der Preisexplo­sion aber ebenso wenig zu tun wie die kalte Progressio­n. Das hilft den Leuten nicht aus der Patsche.

Das wäre ein Ansatz, aber es würde zu kurz greifen. Es ändert nichts daran, dass Unternehme­n aufgrund dieser Preisexplo­sion satte Gewinne machen, obwohl kein zusätzlich­er Aufwand dahinterst­eht, sondern Spekulatio­n, Verunsiche­rung, angeblich der Markt. Was immer die Ursache ist, die, die hohe Gewinne kassieren, sitzen erste Reihe fußfrei. Die Preise bleiben trotz Steuererle­ichterung hoch. Es läge in der Verantwort­ung der Politik, Zusatzgewi­nne durch eine Sondersteu­er mit ins Boot zu nehmen. Die Politik hat großen Spielraum, Vermögende mehr an der Finanzieru­ng des Gemeinwohl­s beitragen zu lassen – ohne gegen Vermögende vorzugehen.

Welche in die Zukunft gerichtete­n Maßnahmen könnten die Inflation einfangen?

Die eine Maßnahme gibt es nicht. Dort, wo es um die Existenz der Menschen geht, um die Grundverso­rgung, soll die Politik eingreifen, wenn der Markt es nicht tut. Zum Beispiel bei der Preisfindu­ng beim Strom. Viele Kraftwerke bieten Strom an – doch alle Endkunden zahlen den Preis des teuersten Erzeugers, in dem Fall des Gaskraftwe­rkes. Das ist krank. Das ist so, wie wenn ich in einer Branche den best bezahlten Arbeitnehm­er als Referenz nehme und alle anderen Arbeitnehm­er gleich hoch entlohnen müsste. Ich verstehe, dass man Investitio­nen in erneuerbar­e Energien fördern möchte, aber das kann man doch nicht über den Preis für Endkunden machen.

Als Basis für Lohnverhan­dlungen gilt die Jahresinfl­ation. Ab Herbst kommen hohe Lohnforder­ungen auf die Unternehme­n zu. Oder soll die Arbeitnehm­erseite einlenken und das Anti-Teuerungsp­aket einpreisen? Lohnforder­ungen folgen immer den Preissteig­erungen der letzten zwölf Monate. Es geht darum, die Kaufkraft der Konsumente­n zu erhalten, auch im Interesse der Unternehme­n. Das ist ein gut eingespiel­ter Prozess. Mit diesem Paket ist gar nichts geschehen, es ist noch kein Geld geflossen. Die kalte Progressio­n soll erst 2023 beseitigt werden, in den kommenden Lohnverhan­dlungen geht es aber um den Zeitraum Herbst 2021 bis Herbst 2022.

 ?? AK STEIERMARK ?? AK-Präsident Josef Pesserl: „Preisfindu­ng beim Strom ist krank“
AK STEIERMARK AK-Präsident Josef Pesserl: „Preisfindu­ng beim Strom ist krank“

Newspapers in German

Newspapers from Austria