Die Koalition muss jetzt 220 Millionen auszahlen
Nach dem Aus für die Indexierung der Familienbeihilfe will die Koalition nun gesetzlich die Weichen stellen, um zurückgehaltene Mittel auszuschütten.
Die Indexierung der Familienbeihilfe ist nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) rechtswidrig. Die Anpassung der Höhe von Familienleistungen, Kinderabsetzbeträgen und anderen familiären Steuervorteilen für EU-Bürger, die in Österreich arbeiten, deren Kinder aber im Ausland leben, verstößt gegen Unionsrecht, so die Luxemburger Richter. Österreich drohen nun Nachzahlungen. Man sei „für alle Rechtsfolgen das Urteil vorbereitet“, hieß es aus dem Familienministerium. Ressortchefin Susanne Raab hat bereits Rückstellungen von 220 Millionen Euro für mögliche Nachzahlungen gebildet. Ein Gesetzesvorschlag zur Erstattung der Differenzbeträge werde ehestmöglich an das Parlament übermittelt, heißt es in einer Stellungnahme. Das Urteil sei zu akzeptieren. Raab halte daran fest, dass eine Anpassung der Familienbeihilfe an den Wohnort gerecht wäre.
Die Indexierung der Familienbeihilfe war ein Prestigeprojekt der türkis-blauen Regierung. Familienleistungen und Kinderabsetzbeträge für in Österreich arbeitende EU-Bürger wurden an die Lebenshaltungskosten in dem Land, in dem die Kinder leben, angepasst. Während Berechtigte etwa durch die Indexierung für Kinder in Irland mehr bekommen, gibt es für Kinder in Rumänien nicht einmal die Hälfte von dem, was für ein Kind in Österreich ausdurch
gezahlt wird. Die EU-Kommission war der Auffassung, dass dies gegen die EU-Vorschriften über die Arbeitnehmerfreizügigkeit verstoße und diskriminierend sei. Die Brüsseler Behörde reichte im Mai 2020 beim EuGH die Klage ein.
Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) begrüßte das Urteil. Nicht nur würde die Klarstellung des EuGH die Situation von Menschen in oft schlecht bezahlten Pflegeberufen verbessern, auch der Arbeitsmarkt würde davon profitieren. „Die Klarstellung trägt zur sozialen Sicherheit bei und schafft Gerechtigkeit für alle in Österreich lebenden Arbeitnehmer. Damit wird Österreich als Arbeitsplatz auch für die so dringend benötigten Fachkräfte wieder attraktiver, nicht nur im Gesundheits- und Pflegebereich, sondern auch in vielen anderen Branchen.“
Für die Generalsekretärin der ÖVP, Laura Sachslehner, ist es
„bedauerlich, dass zum wiederholten Male ein derart zentrales Integrationsvorhaben seitens eines Höchstgerichts gekippt wurde“. Bereits das Kopftuchverbot in der Schule und die verminderte Mindestsicherung bei mangelnden Deutschkenntnissen wurden von Höchstgerichten gekippt. Die ÖVP respektiere das Urteil, wolle sich aber nicht von ihrem Kurs abbringen lassen.
Von einem „großen Erfolg für Familien, Frauen und Kinder“ sprachen die SPÖ-Frauen-, Kinderund Jugendsprecherin EvaMaria Holzleitner und SPÖ-Familiensprecherin Petra Wimmer. Ähnliche Töne kamen auch von den NEOS. Weniger begeistert von dem Urteil war freilich die dritte Oppositionspartei. Wenn es nach FPÖKlubobmann Herbert Kickl ginge, würde Österreich „keinen Cent“an Familienbeihilfe für Kinder, die im Ausland leben, bezahlen.
Für Caritas-Generalsekretärin Anna Parr ist das Urteil nicht nur das wichtige Ende einer Ungerechtigkeit, sondern auch eine Frage des europäischen Gedankens. Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl betonte, dass sie wie viele die Indexierung der Familienbeihilfe von Anfang an kritisiert habe.
Othmar Karas (ÖVP), schon länger Gegner dieses Projekts seiner Partei, meinte auf Twitter: „Das Urteil zeigt auch, dass Populismus in der Politik rasch an Grenzen stößt.“