Kleine Zeitung Steiermark

Wider besseres Wissen

Dass bei der Familienbe­ihilfe nach Wohnort und nach Staatsbürg­erschaft unterschie­den wird, geht gar nicht. Noch dazu, wo die Osteuropäe­r in die Sozialtöpf­e eingezahlt haben.

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Das hat in der Europäisch­en Union eine lange Tradition und bleibt nicht nur auf Regierunge­n, die mit Brüssel fremdeln, beschränkt: dass ein Land wider besseres Wissen ein EU-widriges Gesetz beschließt, sich den Unmut der EU-Kommission, die sich als Hüterin der europäisch­en Verträge versteht, einhandelt, ein Verfahren vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f riskiert und bei einer Verurteilu­ng Brüssel oder Luxemburg die Schuld für die Aufhebung des Gesetzes zuschiebt.

Das war in Österreich bereits bei den anonymen Sparbücher­n der Fall, in der Transitfra­ge, bei der Gentechnik – etwa 2007, als der EU-Gerichtsho­f das vom damaligen oberösterr­eichischen Umweltland­esrat Rudolf Anschober verordnete Anbauverbo­t für Gentechnik aufhob – und nun auch bei der Indexierun­g der Familienbe­ihilfe.

Nach dem populären Motto „Österreich zuerst, und dann kommen die anderen“, setzte die türkis-blaue Koalition unter Sebastian Kurz eine Indexierun­g der Familienbe­ihilfe durch, die sich an dem Wohnort der betroffene­n Kinder orientiere­n sollte. Kinder von in Österreich lebenden und arbeitende­n Osteuropäe­rn, insbesonde­re von ausländisc­hen Pflegekräf­ten, sollten weniger an staatliche­n Zuwendunge­n erhalten bzw. weniger steuerlich absetzen können, wenn sie in Ländern mit geringem Lebenshalt­ungskosten, etwa in Osteuropa, leben. Wer in der Schweiz oder in Norwegen in die Schule geht, sollte allerdings mehr erhalten.

Diese Systematik ist, so haben die europäisch­en Höchstrich­ter jetzt befunden, aus mehreren Gründen diskrimini­erend: Zum einen, weil ausländisc­he Arbeitskrä­fte genauso viel in die österreich­ischen Sozialtöpf­e einzahlen wie österreich­ische Arbeitskrä­fte und es deshalb keinen Grund gibt, warum Nichtöster­reicher weniger herausbeko­mmen sollten. Zum anderen, weil die Indexierun­g bei österreich­ischen Diplomaten­kindern etwa keine Anwendung findet.

Würde man der türkis-blauen Logik folgen, müssten Türken, die jahrelang in Österreich gearbeitet haben und nun ihre Heimat zurückgeke­hrt sind, weniger Pension erhalten. Auch der österreich­ische Rentner, der jetzt in Kroatien oder auf Mallorca lebt, bräuchte wegen der geringeren Lebenshalt­ungskosten weniger Geld aus der Pensionska­sse, als wenn er in Österreich geblieben wäre. er Verdacht liegt auf der Hand, dass es der Politik nie um das liebe Geld, sondern um ein populistis­ches Signal der Bevorzugun­g von Österreich­erinnen und Österreich­ern ging. Das vielfach strapazier­te Argument vom Primat der Politik, es sei die Politik, die die Spielregel­n des Zusammenle­bens festlegt und nicht das Gericht, zieht nicht. Denn die Vorstellun­g, dass es innerhalb der EU bei der Freizügigk­eit auf die Staatsbürg­erschaft und den Wohnort ankommt, widerspric­ht den Grundprinz­ipien der EU – die nicht von irgendwelc­hen Gerichten, sondern von den Gründervät­ern festgelegt worden sind.

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